Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
100 Cheater. XI. Buch. 
  
Bühne zunächst eine Stätte der Erhebung und Erbauung sein, oder sie soll, wenn sie dies 
nicht ist, zum Nachdenken reizen und darf daher nicht vermeiden, das Grause und Düstere 
des Lebens, das Packende, Ergreifende, Abschreckende und dadurch vielleicht Heilende vor- 
zuführen. Aber es geht nicht an bei aller gewiß gerechten Abweisung des Bloß--Frivolen, 
Rein-Erotischen, Abgeschmackt-Unsinnigen die heitere Muse ganz zu verdammen, die bloß 
auf Unterhaltung binstrebt, und selbst auf Kosten der Wahrscheinlichkeit durch ihre Häufung 
von Possenmotiven dem ernsten, beschäftigten, von Tagesarbeit erschöpften und zer- 
mürbten Mann die Sorgen von der Stirne scheuchen und den Ernst des Lebens durch 
Lächeln verklären will. Nur muß man solche Gattungen nicht zur Hauptabteilung machen, 
und Werke dieser Art nicht zu literarischen Kunstwerken stempeln. 
Mit dieser Beschränkung seien, um nur zwei der erfolgreichsten Vertreter der leichten 
Mnuse zu erwähnen — die beiden Brüder Schönthan, Fritz Skowronneck seien nur 
genannt —, Gustav Kadelburg und Oskar Blumenthal kurz charakterisiert. 
Gustav Kadelburg. Der erstere hat mit seinen Lustspielen „Goldfische“, „Zwei 
glückliche Tage“, „Der Herr Senator“", „Großstadt- 
luft“, „Im weißen Rößl“ (die letzteren beiden gemeinsam mit Oskar Blumenthal), 
„Husarenfieber“ ganz ungeheure Erfolge in Deutschland und im Ausland errungen. 
Oiese lustigen Arbeiten erfüllen den Zweck leichter, harmloser Unterhaltung, den sie 
erstreben, halten sich möglichst frei von Unanständigkeiten, sündigen nicht allzusehr gegen 
die Wahrscheinlichkeit, verraten gute Erfindung, große Bühnenkenntnis, schlagfertigen 
Humor, witzige Pointen, anmutige Situationen und verfallen möglichst selten in unan- 
gebrachte Rührseligkeiten. 
  
Oskar Blumenthal. Ostar Blumenthal hat sich selbst in das Album ge- 
schrieben, sein Ruhmestitel solle sein: 
„Mürrischen und Sauren zu mißfallen.“ 
Diesen Ruhmestitel darf er gewiß durch seine Stücke in Anspruch nehmen. Zu seinen 
erfolgreichsten Lustspielen gehören: „Der Probepfeil“, „Die große Glocke“, „Ein 
Tropfen Eift“, „Natthias Gollinger", „Fee Caprice“, „Das Theaterdorf“, 
„Wenn wir altern"“, „Schwur der Treue“. Geschickte Behandlung der Sprache, 
treffender Witz, espritvolle Unterhaltung, üppiger Reichtum der Erfindung, überraschende 
drastische Situationen, possierliche Verwicklungen machten und machen seine Stücke be- 
liebt. Durchgeführte Charakteristiken, Bertiefung in sittliche und Kulturfragen darf 
man nicht bei ihm erwarten, aber es ist ungerecht, weil unhistorisch, ihn unter Kotzebue 
und Saphir zu stellen, da die Frivolität des ersteren ihm ebenso abgeht, wie die krankhafte 
Witz- und Worthascherei des letzteren. 
  
In dem letzten Jahrzehnt sind außer all den bisher schon genannten 
Männern unendlich viele am Bau tätig gewesen. Der krasse 
Naturalismus hat in Schlaf und Holz zwei Propheten gefunden, aber durchaus keine 
Dramatiker, die dauernde Leistungen zu schaffen vermochten. 
Naturalisten. 
  
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