Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
26 Das öffentliche Leben. XII. Buch. 
  
und der alten Soldaten insbesondere, denen vom Ezerzierplatz her das Lautsein zur Ge- 
wohnheit geworden ist. Daß sie aber auch eine Macht sind und werden können, hat das 
Vorgehen der schlesischen Kriegervereine gegen das verfehlte Festspiel von Gerhart Haupt- 
mann gezeigt, das dann freilich durch das ästhetische Verdikt aller derer, die nicht politisch 
oder ästhetisch befangen waren, seine nachträgliche Bestätigung erhalten hat: nicht die 
Freiheit der Kunst, sondern lediglich die Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit eines arm- 
seligen Puppenspiels zur Feier einer so großen und heiligen Sache, wie es die Erinnerung 
an 1813 ist, stand dabei in Frage. 
Zungdeutschlandbund. Für die Wehrhaftigkeit und körperliche Ertüchti- 
gung der Zugend sorgen dann weiter eine ganze Reihe 
von Vereinen und Verbänden, die neuerdings ihre große Zusammenfassung in dem 
Zungdeutschlandbund gefunden haben und in dem Namen „JLugendpflege“ ihren 
Zweck und ihre Rechtfertigung suchen und finden. Unsere deutsche Bildung war lange 
Zeit einseitig, ausschließlich oder doch vorwiegend intellektualistisch orientiert; man 
schien vergessen zu haben, daß nur ein gesunder und kräftiger Körper auf die Dauer 
geistige Arbeit zu leisten vermöge. Da waren Ergänzungen nötig: auf geistigem Ge- 
biete die Ergänzung der intellektuellen Bildung durch erzieherische Einwirkung auf Ge- 
fühl und Willen, wofür die Kunsterziehungstage und der Gedanke der Arbeitsschule 
das öffentliche Interesse zu wecken suchten. Die ganze Schulreformbewegung, die die 
Geister zeitweise so lebhaft beschäftigt und so stark in Atem gehalten hat, war letzten 
Endes gegen diese intellektualistische Einseitigkeit gerichtet und suchte gegen sie Schutz- 
und Hilfsmittel der verschiedensten Art. Das zweite aber war die Erweiterung des spär- 
lichen Schulturnens durch die Einführung von allerlei Spiel und Sport, zu dem man 
die Zugend bald von seiten der Schule anzuleiten und zu ermuntern suchte oder das 
die Zugend selbst und freiwillig in eigenen Vereinen wie Wandervögeln oder Pfad- 
findern in die Hand nahm und pflegte. Diese Bestrebungen zur körperlichen Ertüchtigung 
unserer Zugend zu organisieren und zusammenzufassen ist die Aufgabe des Zungdeutsch- 
landbundes, in dem nicht bloß die Schule und die Jugend, sondern auch freiwillige Helfer 
aller Art, namentlich auch Offiziere sich zur Zugendpflege zusammenfinden, Knaben 
und Zünglinge in die Natur hinausführen, sie tüchtig spielen und körperlich sich üben 
und betätigen lassen und ihnen dabei auch Freude an der Natur und vaterländisches 
Hochgefühl in die Brust pflanzen. 
In fröhlichem Gewimmel sieht man allsonntäglich die Zugend binausziehen aus 
den Städten aufs Land, in Gottes freie und schöne Natur und sich lustig und kräftig 
darin tummeln, ihre Glieder brauchen und ihre Sinne üben, patriotische Lieder singen 
und für Männer wie den Grafen Zeppelin sich enthusiastisch begeistern. Ein erfreulicher 
Eifer dafür ist überall wach geworden und verheißt uns das Heranwachsen eines gesunden 
und starken, eines freudigen, willenskräftigen und patriotischen Geschlechts. 
Aber vor allerlei Gefahren, die zum Teil bereits sichtbar sind, wird sich diese Be- 
wegung doch zu hüten haben. Man denkt dabei auch sozial an eine wohltätige Mischung 
der verschiedenen Klassen und Stände. Allein die sozialdemokratische Zugendpflege 
  
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