XII. Buch. Das öffentliche Leben. 29
Studenten ein für unser Volk im ganzen höchst wertvolles Recht, geradezu die conditio
sine qua non für den Geist der Wahrhaftigkeit und seine Verbreitung unter uns zu sehen
hat. Im Innmern sind die Universitäten immer noch so etwas wie das Gewissen des Volkes,
und nach außen hängt das wissenschaftliche Ansehen Deutschlands mehr als in andern
Ländern vom Stand seiner Universitäten ab: auf diesem Ansehen ruht unsere geistige
Machtstellung in allererster Linie mit. Die Blüte unserer Hochschulen aber ist bedingt
und allein sichergestellt durch die absolute Freiheit der Forschung, die nicht etwa bloß
im Interesse der Professoren und ihrer Arbeit, sondern im Interesse von Volk und Reich
im ganzen aufrecht erhalten werden muß gegen jede Anfechtung und um jeden Preis.
Die Aufregung wegen des päpstlichen Motu proprio vom 1. September 1910 über den Eid
wider den Modernismus und die daran sich anschließenden Verhandlungen in Parla-
ment, Presse und öffentlichen Versammlungen über das Schicksal der katholisch-theolo-
gischen Fakultäten haben gezeigt, wie eng diese kirchliche Frage mit dem Verhältnis
der Universitäten zum Staat und noch allgemeiner mit dem von Kirche und Staat über-
haupt zusammenhängt.
Und auch bei den Studenten sehen wir Uni-
versität und Konfession miteinander sich ver-
binden und verschlingen. In einem konfessionell so stark gemischten Land und Volk wie
dem deutschen ist für den notwendigen Modus vivendi das Prinzip der Simultaneität
das einzig richtige: das gilt für Gewerkschaften und Schulen und gilt in allererster Linie
auch für die universitas magistrorum et scholarium. Von diesem Gedanken aus ist
das Aufkommen zahlreicher konfessioneller Studentenkorporationen wenig erfreulich,
entspricht aber dem allgemeinen Zug einer streng durchgeführten konfessionellen Schei-
dung auf allen Gebieten und bildet nur ein Glied mehr in der großen, unser öffentliches
Leben so stark beeinflussenden konfessionellen Vereinsbildung überhaupt. Als das
umfassendste Gebilde ist hier der seit 1890 bestehende Volksverein für das katholische Deutsch-
land zu nennen, der heute 776000 Mitglieder zählt und alljährlich auf den Katholikentagen
Parade abhält über seine Getreuen und die Losung ausgibt für die Arbeit und die in
Angriff zu nehmenden Aufgaben des kommenden Jahres. Er ist nicht politisch und wirkt
doch durch die taktisch geschickte Inszenierung und die Wucht seiner Masse wie eine große
politische Macht und Machtentfaltung. Mehr der Abwehr dient der Evangelische Bund,
der aber bei weitem nicht dieselbe Verbreitung in der Laienwelt hat, auch nicht so geschlossen
und von allen Richtungen des Protestantismus anerkannt ist, wie auf katholischer Seite
der Volksverein. Selbstverständlich tragen zwei so gerüstet und kampfbereit ein-
ander gegenüberstehende Verbände von verschiedener Konfession weniger zu Ausgleich
und Beilegung, als zur Vermehrung des konfessionellen Haders bei, und dazu nimmt
auch noch die Polemik in der spezifisch konfessionellen Presse vielfach recht unschöne
Formen an. Daß auch die Missionsvereine konfessionell geschieden sind, versteht sich da-
gegen von selbst; und gerade sie haben neben der kirchlichen auch eine große nationale
Bedeutung dadurch, daß und soweit sie ihre Hauptarbeitsgebiete in unsere deutschen
Kolonien verlegen und da zum Auf- und Ausbau derselben und zur Kultivierung ihrer
Konfessionelle Vereinsbildung.
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