XII. Buch. Oas öffentliche Leben. 33
Eignung zum Herrschen von der Thronfolge ausschließt, und daß es ihr deshalb — außer
etwa bei der Aburteilung Zugendlicher — sobald schon gelingen wird, als Richterin zu
funktionieren. Daß sich auch die männlichen Oberlehrer sträuben, an staatlichen oder
städtischen Mädchenanstalten sich einem weiblichen ODirektor unterstellen zu lassen, ist
freilich wenig konsequent, nachdem sie das an Privattöchterschulen doch längst schon
freiwillig und ohne Arg getan haben. Immerhin zeigt es, wieviele Vorurteile, Widerstände
und berechtigte oder unberechtigte Imponderabilien hier noch zu überwinden sind, bis
Sitte und Gesetz zusammen die Sache definitiv geregelt haben. Unbestritten dagegen bleibt
die Mitarbeit der Frau nach wie vor auf sozialem Gebiet; namentlich unsere großen
Kommunen scheuen sich nicht, sie ehrenamtlich und als Berufsarbeiterin und Beamtin
dafür heranzuziehen; besonders bei der Jugendfürsorge ist diese Mitarbeit in tausend und
abertausend Formen erwünscht.
Frauenstimmrecht. Die Frau in Noch tiefer in das öffentliche Leben greift
. der Kampf umdas Frauenstimmrecht
it .
volitischen Versammlungen ein. Wie ernst es den — oder sagen wir vor-
läufig richtiger: einzelnen — Frauen mit dieser Forderung ist, lehren die wilden und
bösartigen Kämpfe der Suffragetten in England, deren Ausschreitungen freilich sofort
auch das prinzipielle Bedenken wachrufen, ob die Frau staatsbürgerlich genug — sollen
wir sagen: genaturt oder geschult? — wäre, um dieses höchste Bürgerrecht ausüben zu
können, das doch auch die Pflicht, beim Uberstimmtwerden den Boden des Gesetzes
nicht zu verlassen, in sich schließt. Fedenfalls ist es damit genau, wie mit den Kämpfen
um das Frauenstudium: man fängt mit dem Letzten und Höchsten an und fragt nicht,
ob auch die nötige Vorbereitung und Vorbildung dazu da ist. Und hier scheint mir
dies besonders unklug und ungerecht. Gewiß ist nicht jeder einzelne Mann politisch
interessierter oder politisch reifer und für das Stimmrecht geschulter als jede einzelne
Frau und ist überhaupt nicht jeder dafür vorbereitet und politisch reif. Deshalb fordern
wir ja heute gerade auch in Knabenschulen die staatsbürgerliche Erziehung, damit diese
AMängel ergänzt und diese Lücken ausgefüllt werden. Aber daß Männer die Träger
der politischen Geschichte sind, soweit unsere Menschheitserinnerung zurückreicht, die
Kämpfe um der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit aus-
gefochten und dabei gelernt, Kenntnisse, Rutine und vor allem Interesse für das Po-
litische gewonnen haben, das läßt sich doch nicht bestreiten; und diese von ihnen geleistete
Arbeitgibt ihnen gerade hier einen entschiedenen Vorsprung und ein entscheidendes Vorrecht.
Jedes Gemeinderats- und Dorfschulzenamt ist ein Stück politischer und parlamentarischer
Schulung zu allen Zeiten und in allen Ländern gewesen. Aluf der Universität hat das
Verbindungsleben den Gemeinsinn geweckt und Disziplin gelehrt, und in unseren Schulen
sind selbst zu einer Zeit, wo von besonderem staatsbürgerlichen Unterricht noch längst keine
Rede war, die Knaben im Geschichtsunterricht, auf unseren Gymnasien vor allem durch
die Bekanntschaft mit den politischen Einrichtungen und Kämpfen der Griechen und
NRömer doch ganz anders für das öffentliche Leben vorbereitet worden als die Mädchen
in den höheren Töchterschulen. Das alles läßt sich nicht von heute zu morgen nachholen:
106= 1683