XII. Buch. Das öffentliche Leben. 37
Stand der Volksbildung. Das öffentliche Leben hat seinen Ausdruck und sein
Organ in der Sitte. Oiese hängt ab von und
hängt zusammen mit der Höhe der Kultur und dem Stande der Bolksbildung
überhaupt. Die Grundlage aller Bildung legt — neben dem Elternhaus natürlich —
die Volksschule; daher scheint es gerade auch im Interesse der Einheit und Einheitlich-
keit unseres Volkes zu sein, daß wenigstens die Grundlage eine einheitliche für alle sei
und die Differenzierung nicht schon vom ersten Schuljahr an eintrete. Darauf beruht
der Vorzug der öffentlichen Erziehung vor der privaten und darauf der nationale
Wert der allgemeinen Volksschule gegenüber den sogenannten Vorschulen, über die gegen-
wärtig so viel gestritten wird. Die Güte unserer Bildungsanstalten bedingt nicht allein,
aber doch bis zu einem gewissen, ziemlich weitgehenden Grad, und je höher hinauf, desto
mehr, die Höhe der Kultur und unsere geistige Machtstellung in der Welt. Den Ausländern
sind wir nicht nur das Volk des größten Landheeres und einer achtunggebietenden Hlotte,
sondern auch das Volk der Schulen und der Universitäten. Deswegen kann die Ausländer-
frage auf unseren Hochschulen nicht von den deutschen Studenten und nach ihren Bedürf-
nissen allein geregelt werden; es muß immer auch an den Wert gedacht werden, den der
Besuch unserer Universitäten durch Ausländer für unser Ansehen und für unsere Schätzung
im Kreise der Bölker draußen hat: nicht bloß daß sie deutsche Wissenschaft sich aneignen,
sondern daß sie deutsches Bolk und Leben, deutsche Art und Sitte kennen und von ihrer
besten Seite kennen lernen, ist der Gewinn für uns; und daher haben die deutschen Stu-
denten nicht das Recht, bloß an sich und ihre Bedürfnisse zu denken, sie haben auch die
Pflicht, den Fremden diese beste Seite des Deutschtums ihrerseits zu zeigen.
Noch ein anderes, worauf wir oben schon
bingewiesen haben, wird von der Schule
erwartet: die Weckung und Pflege staatsbürgerlicher Gesinnung. Für diese hat
freilich — man vergißt das oft — in erster Linie der Staat selbst zu sorgen, indem er sich
seinen Bürgern lieb und wert macht. Davon war ja schon die Rede. Allein damit
ist nicht alles getan. Sie müssen ihn noch vorher kennen lernen, und es muß ihnen
zum Bewußtsein gebracht werden, was alles sie ihm verdanken. Daher scheint mir nicht
die Belehrung über die staatlichen Einrichtungen an sich — was für eine staatsrechtliche
Stellung der Kaiser, der Bundesrat, der Reichskanzler, der Reichstag habe usf. —,
auch nicht eine solche Üüber die Rechte des Bürgers im Staat das Erste und Wichtigste
zu sein, sondern das Aufzeigen dessen, was der Staat dem modernen Menschen überhaupt
und der deutsche Staat speziell uns Deutschen bedeutet und leistet. Das muß man schon
der Zugend klar machen. Ob das am besten in besonderen staatsbürgerlichen oder rich-
tiger;: staatskundlichen Unterrichtsstunden oder nebenbei, etwa im Geschichtsunterricht
geschieht, das soll uns hier nicht kümmern; und ebensowenig, daß es am richtigsten doch
wohl erst in den obersten Klassen der höheren Lehranstalten und in den Fortbildungs-
schulen seine Stelle findet, — in diesen letzteren im Zusammenhang mit der Berufs-
bildung und mit Beziehung auf das, was dieser oder jener Beruf vom Staat zu er-
warten und zu gewinnen und was er ihm Besonderes zu leisten hat. Aber daß die
Pflege staatsbürgerlicher Gesinnung.
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