6 Nudcblic und Ausblic. Schlußwort.
würde der lebenden Generation schlecht anstehen, die Rolle des kühlen Beobachters zu bean-
spruchen angesichts einer Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist, an der jeder Lebende
im Großen oder im Kleinen seinen Anteil hat. Die zurückliegenden Zahrzehnte waren
Bewegung überall, und es ist kaum ein Gebiet, auf dem die Bewegung nicht in neue, bis-
her unbekannte Richtungen gelenkt ist, es ist kein Gebiet, auf dem die Bewegung so zur
Ruhe gekommen ist, daß wir sie in allen Folgen beurteilen können. Eins aber wissen
wir, daß wir vorwärts und zum Ziele müssen auf den Wegen, die wir heute gehen, die wir
bisher gegangen sind. Unendlich viel wichtiger, als die doch immer individuelle lund darum
partei#lsche) Antwort auf die Frage, ob das Getane gut war oder schlecht, ist das mannhafte
Bewußtsein der Tatsache, das dies Deutschland, wie es auf Grund großer Vergangenheit
geworden ist unter der Regierung Kaiser Wilhelms ll., der Stoff und der Boden ist für
alle unsere künftige nationale Arbeit. Die nahe Vergangenheit ist zugleich unsere nächste
Zukunft. Wir können auf die Entwicklung des letzten Vierteljahrhunderts nicht zurück-
blicken, ohne gleichzeitig gezwungen zu sein vorwärts zu schauen auf die Entschließungen
und Ereignisse, die durch die Leistungen der jüngsten Zeit vorbereitet und notwendig
geworden sind. Die Geschichte unserer Zeit in diesem Werke zeigt, was gestern geschehen
ist, um hinzuweisen auf das, was morgen getan werden muß. Sie ist Rückblick und Aus-
blick zugleich.
Lange, selbst fruchtbar und reichbewegte Friedenszeiten, in denen die letzte große
Probe auf die Tüchtigkeit der neuen Zeit, auf die Brauchbarkeit der neuen Ordnungen
und Errungenschaften nicht erlebt wird, sind nicht dazu angetan, eine fest bejahende, zu-
versichtliche nationale Stimmung zu erzeugen. Der leidenschaftliche, vorwärts drängende
Patriotismus entbehrt schmerzlich die Gelegenheit zu großzügiger Einsetzung der natio-
nalen Kräfte und des nationalen Willens, findet an den Kämpfen des Tages im Innern
immer weniger Genügen, hängt sich mit wachsender Liebe an die großen Erinnerungen
und sieht im Vergleich mit der tatenreichen Vergangenheit die arbeitsreiche Gegenwart
lleiner an, als sie verdient. Die an sich oppositionellen Strömungen können den Hebel
der Kritik um so wirksamer an das Bestehende setzen, je länger ein großes Ereignis auf
sich warten läßt, das im Erfolg den Wert erweist dessen, was geworden ist. Diese beiden
Quellen des nationalen Skeptizismus und Kritizismus sehen wir auch heute nach 44
Friedensjahren reichlich fließen. Unbewußt arbeitet der beste patriotische Wille, der sich
gehemmt fühlt und nach Entfaltung sehnt, den Elementen in die Hände, die den natio-
nalen Aufschwung hemmen wollen. Der Erfolg ist am Ende jenes Mißtrauen in den
Wert der eigenen Zeit und Leistung, das, so oft es auch in einem Volke mächtig war, noch
immer untüchtig gemacht hat zu großer nationaler Kraftentfaltung. So unberechtigt
und gefährlich nationale Selbstüberhebung ist, so berechtigt und heilsam ist ein festes
nationales Selbstvertrauen. Und solches Selbstvertrauen kann immer nur eine Genera-
tion besitzen, die weiß, daß sie Tüchtiges geleistet hat. In diesem Sinne ist auch der Kaiser
nicht müde geworden, einem gesunden Optimismus das Wort zu reden. Denn ein in
verzagenden Pessimismus versinkendes Volk wird matt und leer in der Seele, und
allmählich unvermögend die hohen deale seines geschichtlichen und geistigen Lebens zu
erfassen. „##lle Machtentfaltung nach außen hin, alle Erfolge der Technik und Industrie
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