Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Physik. 147 
  
verändert sich die Zusammensetzung der flüssigen Luft von selbst, wenn sie in einem 
offenen Gefäße steht, indem die leichter siedenden Bestandteile, d. i. besonders der Stick- 
stoff, zuerst verdampfen. Infolgedessen reichert sich die flüssige Luft durch fraktionierte 
Destillation von selbst mit Sauerstoff an. Bei der fraktionierten Oestillation der flüssi- 
gen Luft hat sich herausgestellt, daß außer den beiden Bestandteilen: Sauerstoff und 
Stickstoff, noch eine Reihe von sog. Edelgasen in der Luft enthalten ist, deren Reindar-- 
stellung zuerst Rapleigh und Ramsay 18958 gelungen ist. Diese Gase, von denen die 
wichtigsten Argon, Neon, Xenon und Krypton sind, heißen Edelgase, weil sie sich 
mit keinem andern Stoffe verbinden. In demselben Jahre wiesen Ramsay und Cleve 
auch das Vorkommen von Helium, das uns bisher nur in der Chromosphäre der 
Sonne und der Fixsterne bekannt war, auf Erden nach. Sie stellten das Gas zuerst 
aus dem Mineral Cleveit dar. 
Sonstige Fortschritte. Es ist nicht möglich, in dem vorgeschriebenen Raume 
alle wissenschaftlichen Fortschritte der letzten 25 Jahre 
zu behandeln. Daher mögen alle diejenigen Fortschritte, die auf dem Grenzgebiet 
zwischen Phpsik und Chemie erreicht worden sind, unberücksichtigt bleiben. Dazu gehören alle 
diejenigen Erkenntnisse, die mit der Elektrolose, mit der Dissoziation der Mo- 
lekeln und mit dem osmotischen Druck zusammenhängen. Neue Fragen über 
den Aggregatzustand der Körper sind durch Lehmann in Karlsruhe angeregt worden, 
der zuerst eigentümliche flüssige Gebilde in einer Flüssigkeit beobachtet hat, die er flüssige 
Kristalle nennt, und die in mancherlei Beziehung Eigenschaften zeigen, die sonst nur den 
festen Kristallen eigentümlich sind. Raummangel verbietet, auf die Frage der atmo- 
sphärischen Elektrizität einzugehen, sowohl was den natürlichen elektrischen Zu- 
stand der Atmosphäre, das Auftreten von geladenen Jonen, betrifft, wie auch die sich 
im Gewitter zeigenden abnormen Vorgänge. Das Studium der Luft-Jonen ist beson- 
ders durch Elster und Geitel in Wolfenbüttel angeregt und von einer großen Zahl 
namhafter Forscher in Angriff genommen worden. Hiermit steht in engem Zufammen- 
hange die sog. Lichtelektrizität, deren fundamentale Erscheinung darin besteht, daß ein 
elektrisch geladener metallischer Körper seine Ladung verliert, wenn er von Licht be- 
strahlt wird. Unter anderen hat Hallwachs in Dreeden viele wichtige Untersuchungen 
auf diesem Gebiete gemacht. Von Ebert in München rührt die Theorie her, daß die 
atmosphärische Elektrizität durch einen Gehalt des Erdbodens an Radium verursacht 
wird. 
Von anderen wichtigen physikalischen Untersuchungen kann nur der Name genannt 
werden. So die Bestimmung der Gravitationskonstante, die 1896 von Richards und 
Krigar-Menzel ausgeführt worden ist, die Ausbildung der farbigen Photographie, 
die Untersuchung der magnetischen Eigenschaften gewisser Legierungen, deren Kom- 
ponenten unmagnetisch sind (Heuslersche Legierungen), der Nachweis und die Messung 
des Strahlungsdrucks, den die Lichtstrahlen auf Körper ausüben, durch Lebedew und 
die sich daran anschließenden Theorien über astronomische Erscheinungen, z. B. über den 
Kometenschweif. Die lichtelektrische Wirkung des Selens, deren Ausnutzung der Münch- 
  
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