Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Die Chemie. 155 
  
Joachimsthal in Böhmen arbeitete das Ehepaar Curie ein radioaktives Element heraus, 
dem sie den Namen Polonium gaben und dae in seinen chemischen Eigenschaften dem Wis- 
muth nahesteht. Dieser Entdeckung folgte die des dem Baryum verwandten Radiums aus 
Pechblende, bei dem das Ehepaar Curie von Bémont unterstützt wurde. 1899 fanden 
Debierne in Paris und unabhängig von ihm Giesel in Braunschweig neben dem Polo- 
nium das dem Lanthan nahestehende Aktinium. 1905 stellte Otto Hahn aus Thorium--- 
mineralien das Mesothorium und das Radiothorium dar. 
Am besten von allen radioaktiven Substanzen ist das Radium untersucht, für seine 
elementare Natur spricht die Ahnlichkeit seiner Halogenverbindungen und seines Sul- 
fates mit den entsprechenden Barpumverbindungen, wie die Unveränderlichkeit seines 
Spektrums. Sein Atomgewicht bestimmte Frau Curie zu 226,4. Durch Elektrolpyse 
seiner Chloridlösung von Frau Curie und Debierne 1910 als Amalgam gewonnen, 
bleibt das Radium nach Abdestillieren des Quecksilbers als weißglänzendes, bei 700 
schmelzendes radioaktives Metall zurück. Es sendet drei Arten von Strahlen aus, als 
# 6, y-Strahlen unterschieden durch die Ablenkung, die sie im elektrischen oder magne- 
tischen Felde erleiden. In diesen Strahlungen hat man eine freiwillige Zersetzung der 
Atome der radioaktiven Elemente zu sehen. Die a-Strahlen sind positiv geladene Helium- 
atome, eines der Zerfallprodukte des NRadiums und der Radiumemanation. Die Englän- 
der Rutherford und Soddyp sprachen zuerst die Meinung aus, daß die G-Strahlen aus 
Heliumatomen bestehen könnten. Ramsay und Soddp fanden 1903, daß aus Radium 
in der Tat Helium entsteht. Die NRadiumemanation verdichtete Rutherford 1909 mit 
flüssiger Lufst, er sowie Whytlaw Grayp und Ramsay erkannten in ihr ein zu den Edel- 
gasen gehörendes Element vom Atomgewicht 222,5. Die flüssige Emanation unter dem 
Mikroskop betrachtet ist farblos durchsichtig. Die feste Emanation glüht wie eine winzige 
Glühlampe in hellem Glanze in stahlblauer Farbe, die bei tieferer Temperatur in ein 
leuchtendes Orangerot übergeht. Ramsay und Gray haben daher für das neue Ele- 
ment den Namen Niton vorgeschlagen. Beim weiteren Zerfall liefert das Niton c#-Strahlen, 
positio geladene Heliumatome, und Radium A, das sich dann weiter umwandelt. Zu 
den Umwandlungsprodukten des aus dem Uran entstehenden Radiums gehört auch das 
Polonium, und man vermutet, daß das schließlich daraus entstehende radioinaktive Ele- 
ment das Blei ist, eine Vermutung, die durch das Vorkommen von Blei in allen Uran- 
mineralien gestützt wird. 
Nasch Rutherfords Theorie der Radioaktivität, der Desaggregationstheorie, ver- 
wandelt sich der radioaktive Urstoff stufenweise in andere, weniger beständige, bis 
schließlich ein radioinaktiver Stoff entsteht, dessen Natur allerdings bis jetzt in 
keinem Falle sicher erkannt ist. Diese Umwandlungen sind von einer Entfaltung von 
Wärme- und Strahlungsenergie begleitet, die unvergleichlich viel größer ist als bei irgend- 
einem anderen exoenergetischen Vorgang. Die Stoffmengen aber, die dabei in Betracht 
kommen, sind so gering, daß sie wederchemisch noch phosikalisch aufzufinden gewesen wären, 
wenn nicht die Energie der Strahlung den Nachweis ermöglicht hätte. 
Bis jetzt sind drei Familien radioaktiver Substanzen bekannt, die sich an Uran und 
Thorium anschließen und über 30 Glieder zählen, und die man alle als chemische, teilweise 
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