Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
174 Die Chemie. X. Buch. 
  
Substanzen beide Formen auf. A#lls tppisches Beispiel für Tautomerie kann man den 
Mzetessigester ansehen, der zu so vielen Umwandlungs-, Abbau- und Aufbaureaktionen 
verwendet worden ist. Knorr gelang es 1911 die Enolform des #zetessigesters von der 
Ketoform zu trennen. Das Verdienst von A. Michael aber ist es, 1888 die Ansicht aus- 
gesprochen zu haben, daß in allen Fällen, wo ein sauerstoffhaltiger organischer Bestand- 
teil sich mit einem Metallatom zu einem Salz vereinigt, wahrscheinlich stets der negative 
Sauerstoff das Metall an sich kettet und nicht der Kohlenstoff. Demgemäß nahm er im 
Natriumazetessigester und ähnlichen Verbindungen das Natrium an Sauerstoff gebunden 
an. Bei dem leichten Ubergang tautomerer Verbindungen ineinander findet die Verschie- 
bung eines Wasserstoffatoms statt. Solche Wasserstoffverschiebungen sind bei zahlreichen 
intramolekularen Atomverschiebungen beobachtet worden, die nicht zu tautomeren Sub- 
stanzen führen, wie z. B. bei den von R. Fittig eingehend untersuchten Verschiebungen 
der doppelten Bindung bei ungesättigten Säuren. Mit derselben Leichtigkeit findet bei 
anderen intramolekularen Atomverschiebungen die Wanderung von Alkyl, Arpl und Hy#- 
droxpl statt. Um die experimentelle Aufklärung des Reaktionsmechanismus derartiger 
intramolekularer Atomverschiebungen wie der Benzilsäureverschiebung, der Umlagerung 
der Säureamide, Säureazide und Ketoxime haben sich Georg Schroeter und Stieg- 
litz, um die Pinakolinbildung Tiffeneau in Paris, P. J. Montagne in Leyden und 
Hans Meerwein erfolgreich bemüht. Veranlaßt durch die Auffindung einer Gesetz- 
mäßigkeit bei der Bildung freier Phenolkarbonsäurechloride wies R. Anschütz 1904 
darauf hin, daß das Ausbleiben von erwarteten Analogiereaktionen durch intramoleku- 
lare Nebenbindungen veranlaßt sein könne. Er ging dabei von dem Grundgedanken aus, 
dbaß in der kleinen Welt des Moleküls jedes Atom an jedes andere darin enthaltene Atom 
gebunden sei. Aber diese Bindungen sind von sehr verschiedener Stärke. In unseren 
üblichen Strukturformeln kommen nur die Hauptbindungen zur Anschauung, die Bin- 
dungen erster Ordnung, die zur Erklärung der meisten Keaktionen genügen. Oaß aber 
Nebenbindungen, Bindungen niederer Ordnung von nicht zu vernachlässigender Stärke 
vorhanden sind, zeigt das Ausbleiben von zu erwartenden Analogiereaktionen, sowie die 
leichte Abspaltung und schwierige Anlagerung einfacher Moleküle, hauptsächlich anorga- 
nischer Natur. Ferner wird das Verständnis intramolekularer Atomverschiebungen durch 
die Annahme von Aebenbindungen erleichtert. Aus diesen Darlegungen geht hervor, 
wie sehr der Begriff der Wertigkeit seine ursprüngliche Starrheit hat verlieren müssen. 
Die Chemiker dürfen sich in vielen Fällen nicht mehr mit der Aufstellung einer nur die 
Hauptbindungen ausdrückenden Strukturformel begnügen, sondern sie müssen die Affi- 
nitätsverteilung sämtlicher eine Verbindung zusammensetzender Atome in Betracht 
ziehen, wenn sie eine dem Gesamtoerhalten entsprechende Formel aufstellen wollen. 
2 " B" " Be- 
Außere Bedingungen wissenschaftlicher Untersuchen wir die äußeren 
. .. dingungen für die wissenschaftliche 
chemischer Arbeit in Deutschland, chemische Arbeit in Deutschland in 
bezug auf die Fachliteratur und die wissenschaftlichen Forschungsstätten, so sind auch in 
dieser Hinsicht die erfreulichsten Fortschritte festzustellen. Früher als bei anderen Nationen 
  
  
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