Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

428 Studien über würltembergische Agrarverhältnisse. 
diese Hoffnung kann in den meisten Fällen nur eine trügerische 
seyn. Es ist allerdings möglich, dass ein Bauer, der, wie sie 
es auf dem Lande nennen, auf solche Weise „sich erleichtert*, 
das heisst in Wahrheit nichts anderes als eine neue Anwendung 
des altbekannten communistischen Mittels der novae tabulae nacht, 
sich damit wirklich hilft. Ein Theil des Zinses nämlich, den er 
bisher dem Gläubiger zahlen musste, bleibt nun nach der Schuld- 
reduction zu seiner eigenen Verfügung. Kommen dann gule 
Jahre, so ist es denkbar, dass er seine Verpflichtungen erfüllt 
und wieder aufkommi. In der Regel aber wird er mit dem 
kleinen Betriebskapital, das er gereltet hat, oder sich neu zu 
verschaffen weiss, die Wirthschaft doch nicht halten, vielmehr 
nach einigen Jahren abermals Zins- und Steuerrückstände oder 
auch neue Schulden haben und abermals versuchen, eine „Er- 
leichterung®* vom Gläubiger herauszuschlagen. 
In solchen ökonomisch tief gesunkenen Gemeinden ist der 
Uebergang des kleinen verschuldeten Besitzes in andre Hände 
kein Unglück, sondern eine Wohlthat. Er ist die noihwendige 
Krisis, die zur Heilung führt, der erste Schritt der Heilung selbst. 
Unhaltbar sind einmal derartige Wirthschaften. Das: wahre In- 
teresse solcher Gemeinden selbst wie des ganzen Landes kann 
also unmöglich darin bestehen, sie künstlich mit Opfern von Seite 
der Gläubiger oder gar des Staates selbst zu halten, und ihnen 
eine lraurige Existenz zu fristen, sondern man muss vielmehr 
wünschen, dass der Zustand so schnell und so gründlich als 
möglich geändert werde. ‘Ohne Zweifel kann diess nur durch 
Dazwischenkunft fremden Kapitales geschehen und ebenso gewiss 
ist, dass die Gläubiger in ihrer Eigenschaft als Kapitalisten die 
nächste Veranlassung haben, die Veränderung herbeizuführen. 
Von dem Augenblick an, wo die ihnen verpfändeten und im 
Gant zufallenden Güter so werthlos werden, dass sie beim Ver- 
kauf mehr Schaden erwarten müssen, als wenn sie trotz aller 
darauf ruhenden .und durch die Uebernahme sich noch mehrenden 
Lasten dieselben übernehmen und durch Zukauf einen ihren Ver- 
hältnissen entsprechenden, zur Verpachtung oder zum eigenen 
Betrieb geeigneten, Besitz bilden, ist es ihr Interesse das letztere 
zu ihun. Wenn sich bis jetzt bei uns noch kein Anfang dazu
	        
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