Einleitung. $ 1. d
Zwischenverbände (Königreiche, andere Fürstentümer, Feudal-
herrschaften, Städte, kirchliche Verbände) existierten, welche obrig-
keitliche Befugnisse besaßen, und in denen sich ein selbständiges
Gemeinleben entwickelte. Indem sie diese als universitates bezeich-
neten, schufen sie den Begriff des Gemeinwesens im staatsrecht-
lichen Sinne. Die Zwischenverbände unterschieden sich vom Reiche
dadurch, daß sie der Herrschaft desselben unterworfen waren,
während das Reich bezw. der an der Spitze desselben stehende
Kaiser keinen Herrscher über sich hatte. Er besaß die höchste
Gewalt, die suprema potestas oder plenitudo potestatis.
Nachdem mit dem Ende des Mittelalters die Macht und selbst
die Idee des heiligen römischen Reiches verschwunden war, fand
der Staatsbegriff auf die einzelnen bisher als Bestandteile
desselben betrachteten Königreiche und andere Länder An-
wendung. Diesen und den an ihrer Spitze stehenden Herrschern
wurde die höchste Gewalt zugeschrieben, welche bisher als Eigen-
schaft des Reiches und des Kaisers gegolten hatte. In Frankreich
kam dafür der ursprünglich in einer wesentlich andern Bedeutung
verwendete Ausdruck „souverainet6“ auf, welcher auch in
andere europäische Sprachen überging. Die Existenz von Zwischen-
verbänden zwischen Individuen nnd Staat blieb anerkannt, wenn
auch die zentralisierende Tendenz des sechzehnten bis achtzehnten
Jahrhunderts der Entwicklung derselben wenig günstig und bestrebt
war, das Gemeinleben möglichst im Staate zu konzentrieren, Als
der wesentliche Unterschied des Staates von diesen untergeord-
neten Verbänden, als das charakteristische Merkmal des ersteren
wurde die Souveränetät betrachtet, der Staat als das souveräne
politische Gemeinwesen charakterisiert®.
5 Über den Bedeutungswandel in der Geschichte des Ausdrucks vgl.
Esmein, Cours €l&mentaire d’histoire du droit francais (9e &d., 1898) 139 ff.,
178 ££.; Rehm, Staatsl. 40; Jellinek, Staatsl. 436 ff.
Die Dogmengeschichte des Souveränetätsbegritis ist am besten und voll-
ständigsten bei Jellinek, Staatsl. 435 ff. dargestellt. Vgl. außerdem Rehm,
Geschichte der Staatsrechtswissenschaft 192 ff., Staatsl. 40 ff.; Dock, Der
Souveränetätsbegriff von Bodin bis zu Friedrich d. Gr. (1897); Dock, Re-
volution und Restauration über die Souveränetät (1900); Landmann, Der
Souveränetätsbegrift bei den französischen Theoretikern (1896).
6 Die Ansicht, daß die Souveränetät dag wesentliche Merkmal des
Staates sei, führt zurück auf die Lehre der italienischen Juristen des späteren
Mittelalters (insbes. des Bartolus) von den Verbänden mit und ohne Superior,
den universitates superiorem recognoscentes bzw. non recognoscentes: indem
die letzteren und nur sie dem Imperium, also dem Starte in vollem Wort-
sinn gleichgestellt wurden, war die Souveränetät — Unabhängigkeit nach
außen, Unbeschränktheit nach innen — als Essentiale des Staatsbegriftes
behauptet. Vgl. Gierke, Genoss.R. 3 638 ff., Althusius 229 ff, Rehm, Gesch.
der Staatsrechtswiss. 193 f£., Jellinek, Staatsl. 442f. Mit vollem Bewußtsein
ist aber die Theorie von der begrifflichen Notwendigkeit der Souveränetät
für den Staat erst von Bodin aufgestellt worden (vgl. Hanke, Bodin, eine
Studie über den Begriff der Souveränetät, 1894, Jelinek, Staatsl. 453 f.,
Rehm a. a. O. 218 ff); bezeichnend der Satz des Bodin: „l’Etat est un droit
gouvernement de plusieurs mesnages et de ce que leur est commun avec
puissance souveraine“ (Six lıvres de la Republique, 1576, I, 1). Ihm