Die Zeit des alten deutschen Reiches. $ 19. 67
Urteile betraut war. Die politische Bedeutung des Reiches wurde
wieder eine größere und dasselbe entwickelte im sechzehnten Jahr
hunderte eine rührige Tätigkeit auf den Gebieten der Gesetz-
gebung und Rechtspflege.
Eine neue Wendung trat aber infolge dar kirchlich refor-
matorischen Bewegungen des sechzehnten Jahrhunderts ein.
Diese veranlaßten eine lange Reihe von religiösen Streitigkeiten
und damit einen neuen Kampf zwischen Reichsgewalt
und Territorialgewalten. Deutschland wurde ein Schau-
platz innerer Kriege, die einzelnen Reichsstände schlossen Alliancen
zur Verfolgung ihrer Sonderinteressen, es begann eine Einmischung
fremder Mächte, welche ihren Höhepunkt im Dreißigjährigen
Kriege erreichte. Letzterer endete im Westfälischen Frieden
mit einem vollständigen Siege der Territorialgewalten,
denen sogar das Recht der Bündnisschließung mit auswärtigen
Mächten zuerkannt wurde, Seit dieser Zeit war die Auflösung
des Reiches entschieden®. Deutsche Fürsten kämpften in Ver-
bindung mit auswärtigen Herrschern gegen das Reich und andere
deutsche Landesherren. Auf dem deutschen Reichstage saßen Ver-
treter außerdeutscher Regierungen. Die Reichsgewalt hatte nicht
mehr die Macht, den größeren Landesherren gegenüber ihre Be-
fehle zur Durchführung zu bringen. Der in Regensburg permanent
gewordene Reichstag verlor sich in Formalitäten und Zeremonial-
fragen. Die Reichsgerichte waren träge und bestechlich. Die
Beiträge zur Bestreitung der Reichslasten wurden von einem
großen Teil der Reichsstände nicht mehr bezahlt. Die Reichs-
kriegsverfassung bot ein Bild traurigsten Verfalles dar.
Um so kräftiger entwickelten sich die Territorien. Die
Macht der Landesherren, gestützt durch ein ausgebildetes Beamten-
tum und stehende Heere, oft gehoben durch ausgedehnte Be-
sitzungen außerhalb des Reiches, nahm an Umfang und Wirk-
samkeit stetig zu. Politisches Leben bestand nur innerhalb der
einzelnen Länder, in welchen sich namentlich jene fürsorgende
und bevormundende Tätigkeit der landesherrlichen Obrigkeit aus-
bildete, welche man in der Sprache der damaligen Zeit mit dem
Namen „Polizei“ zu bezeichnen pflegte. — Auf diesem Boden
erwuchs der brandenburgisch-preußische Staat’, der
8 Über die politischen Zustände in den letzten 150 Jahren sind zu ver-
leichen: Clem. T'heod. Perthes, Das deutsche Staatsleben vor der Revolution,
amburg und Gotha 1845; Häußer, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs
des Großen bis zur Gründung des Deutschen Bundes 1 64 ff. (3. Aufl., Berlin
1861—63); H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 1,
4. Aufl., Leipzig 1887.
% Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte des preußischen
Staates und seines Rechtes gibt Bornhak, Preuß. Staats- und Rechts-
geschichte (Berlin 1903), der auf S. XIX—XXVI auch die außerordentlich
reiche Literatur (wichtig insbesondere die Arbeiten von Schmoller, Stölzel,
E. v. Meier, Hintze, lsaaksohn, Koser, Lehmann, Holtze u. a) zusammen-
gestellt hat.
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