— 795 —
Die zweite Kriegssitzung des deutschen Reichstags.
Ein herrliches Bild der Einmütigkeit, des Kraftbewußtseins und der
Entschloseenheit hat auch die zweite Kriegssitzung des Deutschen Reichs-
tages vom 2. Dezember 1914 gezeigt, die sich würdig der ersten Kriegs-
sitzung vom 4. August anschloß. Verstummen muß das Gerede ausländi-
scher Blätter von dem angeblichen Hervortreten deutscher Friedenswünsche
zu einer Zeit, in der noch auf keinem Kriegsschauplatz gegenüber den
Großmächten des Dreiverbandes wirkliche Entscheidungskämpfe durch-
gefochten worden sind. Die Welt muß zu dem Bewußtsein kommen, daß
wir, nachdem der Krieg uns einmal freventlich aufgezwungen, nicht
locker lassen, bevor wir nicht unsere ganze Kraft haben entfalten
können, bevor nicht auch der eigentliche Urheber dieses Krieges
sich uns in seinem Element gestellt hat.
Zu welchem Ende wir den Krieg zu führen trachten müssen, das hat
am 2. Dezember der Reichskanzler angedeutet, als er die sehr treffende
Bemerkung und Unterscheidung machte:
„Die äußere Verantwortung für diesen schwersten aller Kriege
tragen die Männer in Rußland, die die Mobilisierung der gesamten
russischen Armee betrieben und durchgeführt haben — eine noch größere,
die innere Verantwortung aber liegt bei der großbritannischen
Regierung.“
So viele sogenannte großen Tage die viertürmige Reichsburg auch
schon gesehen — nie zuvor war der Andrang so gewaltig wie zu dieser
zweiten Kriegssitzung. Und dieser Andrang: bekundete er etwas anderes
als das Bedürfnis, Zeuge zu sein, wenn nochmals des ganzen deutschen
Volkes erwählte Vertreter einmütig auf den Plan treten, um im Namen
Alldeutschlands Zeugnis dafür abzulegen, daß in viermonatlicher Kriegs-
führung mit all ihren Opfern kein Fünkchen verstoben ist von der Be-
geisterung für die Einsetzung aller Kräfte an Blut und Gut, um den Krieg
durchzuführen bis zum siegreichen, einen sicheren und gedeihlichen Frieden
verheißenden Ende?! —
Wie ein roter Faden zog es sich durch die Reden der Kriegssitzung:
Das deutsche Volk läßt siche mcht unterkriegen auch durch eine Welt von
Feinden! Es wird kämpfen bis zu einem ruhmvollen, glücklichen Frieden!
Als einen „Volkskrieg im wahrsten Sinne des Wortes“ bezeichnete
der Reichstagspräsident Dr. Kaempf in seiner warmherzigen Ansprache
zu Beginn der Sitzung diesen Krieg; und mit Bezug auf unsere Fähigkeit,
ihn wirtschaftlich durchzuhalten, fügte er treffend hinzu: „Die Gesamt-
heit trägt auf starken Schultern das Gebäude unseres
wirtschaftlichen Lebens.“
Rühmend gedachte der Präsident der Taten unseres Heeres und
unserer Flotte, um hervorzuheben, daß, wenn auch Teile von Elsaß-Loth-
ringen und von Ostpreußen nur zu deutliche Spuren der kriegerischen
Verheerungen zeigen, wir doch nicht dankbar genug dafür sein können, daß
im großen ganzen der Krieg sich abspielt auf den Gebieten unserer Feinde.
Das leistet unser Volksheer, das sich durch keine, aus allen fünf Erdteilen
zusammengetrommelten Vasallenheere schrecken läßt.
Den Mittelpunkt auch der zweiten Kriegssitzung bildete wiederum —
unseres Bedünkens sogar ein gut Teil wirksamer als am 4. August — die
Rede des Reichskanzlers, der zunächst nicht nur der Volksver-