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Vorschrift des Art. 30 der Verfassung bestimmt, dass kein Mit-
glied eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich ge-
hörigen Staats wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Aus-
übung seines Berufs getanen Aeusserungen zur Verantwortung
gezogen werden könne. Der 8 12 StGB. hatte die Vorschrift
des Art. 22 RV., wonach wahrheitsgetreue Berichte über Ver-
handlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags von je-
der Verantwortlichkeit frei bleiben, auf die Berichte über die
Verhandlungen der Landtage der Einzelstaaten ausgedehnt. Fer-
ner enthalten die StPO. $ 49 und die OPO. 8 382 eine gleiche
Bestimmung über den Ort, an welchem „die Mitglieder einer
deutschen gesetzgebenden Versammlung“ als Zeugen zu verneh-
men sind. Diese Vorschrift bezieht sich in gleicher Weise auf
die Mitglieder der einzelnen Landtage wie auf die des Reichs-
tags. Durch 86 EG. zur StPO. werden ferner die dem Art. 31
RV. entsprechenden Vorschriften der Verfassungen der Einzel-
staaten aufrecht erhalten. Es heisst dort, dass die landesgesetz-
lichen Bestimmungen über die Voraussetzungen, unter welchen
gegen Mitglieder einer gesetzgebenden Versammlung während der
Dauer einer Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet oder
fortgesetzt werden kann, durch die StPO. nicht berührt werden.
Danach ist es undenkbar, dass, wenn man bei Abfassung der
StPO. und der CPO. die Ansicht gehabt hätte, Art. 30 RV.
enthalte für die Mitglieder des Reichstages eine Ausnahme von
der Verpflichtung zum Zeugnis, man etwaige gleiche Bestim-
mungen der Landesverfassungen ohne weiteres abgeschafft hätte.
Man würde solche Bestimmungen nicht allein aufrecht erhalten,
sondern dort, wo sie nicht bestanden, den Mitgliedern des Land-
tags oder der Kammern eine gleiche Vergünstigung, wie den Mit-
gliedern des Reichstags gewährt haben. Wenn dieser Punkt in
den Verhandlungen über die Abfassung der CPO. und der
StPO. überhaupt nicht erwähnt worden ist, so lässt sich dieses
nur dadurch erklären, dass man damals nicht an die Möglich-