Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 21 (21)

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dene Missbilligung. Bei dem Uebergewicht, welches diese Par- 
teien in dem konstituierenden Reichstag hatten, muss man an- 
nehmen, dass man die bezüglichen Vorschriften der RV. mit 
besonderer Vorsicht abgefasst hat, um einer solchen Auslegung 
derselben durch die Gerichte vorzubeugen, welche mit der herr- 
schenden Ansicht nicht in Uebeinstimmung stehe. Dieser Um- 
stand spricht besonders entschieden dafür, dass, wenn es die Ab- 
sicht gewesen wäre, in dem Art. 30 auch die civilrechtliche Ver- 
antwortlichkeit der Mitglieder des Reichstags auszuschliessen, 
solches in unzweideutiger Weise hervorgehoben wäre. 
Die hier vertretene Auffassung des Art. 30 wird weiter durch 
die Entstehungsgeschichte des Artikels und dadurch unterstützt, 
dass sich auch in den entsprechenden Bestimmungen anderer 
Verfassungen eine Immunität der Mitglieder der Kammern in 
dem Umfange, dass dadurch auch die civilrechtliche Verantwort- 
lichkeit gedeckt wird, nicht findet’. Dieses letztere Moment ist 
ö5 Die belgische Verfassung bestimmt: „Aucun membre de l’une ou de 
l’autre chambre ne peut ötre poursuivi ou recherch6 & l’occasion des opinions 
et votes &mis par lui dans l’exercise de ses fonctions.“ VAUTHIER (Das 
Staatsrecht des Königreichs Belgien 8. 44) bemerkt dazu: „Die Unverletz- 
lichkeit der Kammermitglieder schliesst aber Civilklagen auf Entschädigung 
nicht aus, selbst wenn diese Klagen in einer von dem Strafgesetz mit 
Strafe bedrohten Handlung begründet sind.“ — Bezüglich des Rechts der 
Vereinigten Staaten heisst es bei Kent (Öommentaries 12. ed. IS. 236, Note g), 
dass „the principle that members of Congress should be exempt from im- 
peachment and punishment for acts done in their collective or congres- 
sional capacity“ anzuerkennen sei. Von einer Ausschliessung der An- 
sprüche auf Entschädigung ist nicht die Rede. — Die Verfassung für das 
Grossherzogtum Hessen von 1820 bestimmte, dass die Stände für den In- 
halt ihrer Abstimmung nicht verantwortlich seien, sie behielt aber dem 
Einzelnen ein Klagerecht wegen Verleumdung vor. Danach kann der Aus- 
schluss der Verantwortlichkeit sich nur auf die strafrechtlichen Folgen be- 
ziehen. In ähnlicher Weise bestimmt die Weimarsche Verfassung von 1850 
dass kein Mitglied des Landtags wegen seiner Aeusserungen in der Ver- 
sammlung desselben verantwortlich gemacht werden könne, fügt aber hinzu, 
dass jede Verunglimpfung des Landesfürsten, Beleidigung der Regierung, 
des Landtags oder Einzelner nach den Gesetzen strafbar sei. Es ist also
	        
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