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Kunstfertigkeit um den hohen Preis erkauft, darüber die lebendige Fühlung
mit den Problemen der realen politischen Evolution zu verlieren. Es ist
die Methode der juristischen Reinkultur, der zu Liebe das neuere deutsche
Staatsrecht den organischen Zusammenhang mit dem Gebiete gelöst hat, in
das doch alle staatsrechtlichen Probleme ihrer Substanz nach gehören, dem
Gebiete, wo „um der Menschheit grosse Gegenstände, um Herrschaft und
um Freiheit wird gerungen‘“.
KRABBE sieht das Staatsrecht aller Länder beherrscht von dem Gegen-
satz zweier Grundanschauungen: der von der Staatssouveränität und der
von der Rechtssouveränität. Die erste „leitet jede Macht, jede Autorität in
der Gesellschaft vom Staate her. Der Staat ist die Autoritätsperson, die
Quelle aller Macht, eine natürliche, ursprüngliche Machterscheinung‘“. Da-
gegen ist für die Lehre von der Rechtssouveränität „jede Gewalt, welche
in der Gesellschaft Geltung beansprucht, einzig und allein Rechtsgewalt.
Wie jede andre, natürliche oder Rechtsperson, hat auch der Staat nur in-
sofern Rechte und Befugnisse, nur insofern Autorität, als es aus einer po-
sitiven Rechtsordnung hervorgeht“. Diesem Gegensatze liegt aber eine
tiefere Unterscheidung zu Grunde. „Obtemperantia subditum facit“, sagt
SPINOZA; jede soziale Gewalt ruht auf dem Bewusstsein der Gehorsams-
pflicht bei den sich dieser Gewalt Unterwerfenden. Diese „Verpflichtung
zum Gehorsam kann aus dem Inhalt der Norm sich ergeben, so dass die
Pflicht, einer gewissen Norm gemäss zu handeln, aus deren Charakter als
Rechtsnorm folgt — oder aber es könnte die Verpflichtung aus einer
persönlichen Beziehung dadurch hervorgehen, dass eine oder mehrere
bestimnite Personen ein Befehlsrecht besitzen ...... Es kann also von einer
unpersönlichen und von einer persönlichen Gewalt gesprochen
werden. Unpersönlich ist sie, wenn die Norm bindet, weil sie Rechts-
norm ist; persönlich ist sie, wenn die Verbindbarkeit der Norm in einer
bestimmten Person oder einem bestimmten Kollegium ihren Ursprung hat“.
Die Lehre der Rechtssouveränität kennt lediglich eine unpersönliche
Gewalt; und andrerseits läuft die Lehre von der Staatssouveränität stets
auf die Anerkennung einer persönlichen Gewalt hinaus. Das liegt
bei den älteren Erscheinungsformen ihrer Dogmatik, dem fürstlichen Gottes-
gnadentum und der Volkssouveränität klar zu Tage. Aber auch die heute
in der deutschen Publizistik herrschende Lehre von der Staatssouveränität
kommt auf einem kleinen Umwege auf denselben Punkt, indem sie doch
stets einen persönlichen „Träger der Souveränität“ proklamiert: Monarch
oder Parlament oder Bundesrat. Die LaBAnDsche Sanktionstheorie bei der
Gesetzgebung ist dafür ein sehr charakteristischer Beweis.
Die Kritik Krauges an dem Dogma von der individualistischen
Fürstensouveränität, wie es in der deutschen Literatur von MAURENBRECHER
bis zu SEYDEL und BORNHAK vertreten wird, bedarf keiner weiteren Darlegung,
da jene Atavismen zwar noch sehr einflussreich in der Praxis, nicht aber