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in der Wissenschaft sind. Als den Ahnherın der heute in der deutschen
Staatsrechtslehre herrschenden Richtung erkennt Kr. ganz richtig GRRBER;
ebenso trefiend betont er die Schwäche von GERBERSs Theorie der Staats-
persönlichkeit und ihre Seelenverwandtschaft mit jener scheinbar von ihr
bekämpften Lehre von der Fürstensouveränität; denn auch für GERBER wird
„in dem Monarchen die abstrakte Persönlichkeit der Staatsgewalt verkör-
pert“; „das Herrschaftsrecht des Staates in seiner Hand zum persönlichen
Herrschaftsrecht gestaltet“. An dieser Anschauungsweise habe nun aber
auch die heutige Richtung des deutschen Staatsrechts, die Kr. besonders an
den Theorien von LABAND, JELLINEK, ROSIN und mir erörtert, im Grunde wenig
geändert. Allerdings strebe diese Richtung einen Fortschritt insofern an, als sie
einmal den blossen Organcharakter der staatlichen Gewalten schärfer betone,
— und zwar tun dies auch die Vertreter dieser Richtung, die im übrigen
nicht auf dem Boden der organischen Theorie GIERKEs stehen; — sodann,
indem sie den Charakter des Rechtsstaats, die Normierung des staat-
lichen Handelns durch das Recht zur Geltung zu bringen versuche. Indessen
gelange sie in beiden Punkten zu keiner befriedigenden Lösung. In erster
Hinsicht fällt LABAND und seine Schule trotz der prinzipiellen Anerkennung
einer selbständigen Persönlichkeit von Reich und Staat doch sofort auf die
Proklamierung eines „Substrats“ dieser Persönlichkeit, eines „Trägers, In-
habers, Subjekts“ der Staatsgewalt oder Souveränität, und damit auf die
Doktrin GERBERs zurück. Mit Recht sagt Kr.: „Wird damit nun nicht
wieder realiter die persönliche Gewalt in den Vordergrund gedrängt und die
Persönlichkeit des Reichs oder des Staates lediglich benutzt als ein kon-
struktives Mittel, um die Kontinuität der Reichs- und Staatsgewalt, unab-
hängig von ihren Trägern oder Subjekten, annehmbar zu machen ?*
Ebenso ist es auch unmöglich, zu einer in sich geschlossenen Aner-
kennung des Rechtsstaats zu gelangen, indem man an der Idee der Staats-
souveränität festhält. Wenn man mit LABAND im „Herrschen® das „spezi-
fische Vorrecht des Staates“ sieht, „das er mit Niemandem teilt“, so kann
man keine Antwort auf die Frage KrABBEs finden: „Woher das Recht,
woher das Vorrecht?“ Wenn man mit JELLINEK im Staate „die mit ur-
sprünglicher Herrschermacht ausgestattete Verbandseinheit“ sieht, so
kann man den Ursprung dieser Macht eben nicht auf das Recht gründen;
und aller Scharfsinn dieses feinen Denkers vermag nicht aus dem circulus
vitiosus einer rechtlichen Selbstbindung des „ursprünglich“, d. h. doch jen-
seits alles Rechts, „herrschenden“, d. h. doch bindenden Staates hinauszu-
führen. Dass auch die Lehre von der Gewaltenteilung das Problem nicht
lösen kann, zeigt KrazsBks Kritik an OTTO MAYER, der mit der trias politica
schliesslich vor denselben Widersprüchen steht wie LABAnD, dem die Theorie
der Gewaltenteilung eine Auflösung der Staatseinheit bedeutet.
In diesem Zusammenhange kann ich ein Wort pro domo nicht ver-
meiden, da Kr. sich ausführlich mit meinen Darlegungen beschäftigt, von