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das Produktive und Primäre; denn er ist „die Essenz der Gesamtpersönlich-
keit“, des zweckbestimmenden Subjekts. Und das gilt nicht nur vom Staat,
sondern von allen gewordenen Gemeinwesen; auch in dieser Beziehung hat
der Staat gar nichts von einem unicum sui generis. Schliesslich muss ja
auch Kr. die ausschlaggebende Bedeutung des Gemeinwillens anerkennen,
denn was sonst heisst es, wenn er sagt: „Jeder Staat realisiert den Gemein-
schaftszweck nach seiner Art, entweder infolge einer eigenen Auffassung
dieses Zwecks oder der Bedürfnisse des Volkes, in welchem er realisiert
werden muss“?! Aber in dem fruchtlosen Bemühen, einen solchen Gemein-
schaftszweck a priori aus dem Nichts heraus zu konstruieren, verwickelt
sich Kr. in eine langwierige und unklare Erörterung, die die einzige öde
und unfruchtbare Strecke in seinem sonst so klaren und anregenden Buche
bildet, mit apokalyptischen Sätzen wie dem: es ycharakterisiert sich der
Staat eben durch einen bestimmten Zweck, der sich in ihm selb-
ständig und bewusst realisiert.*! Was selbständig und bewusst einen
Zweck realisiert, ist eben selbst kein Zweck, sondern ein Wille.
Bleibt man immun gegen die begriffsperniciöse Wirkung des teleologi-
schen Gedankenbanns, so kann man im übrigen die Früchte der Untersuchun-
gen Kr.s dankbar geniessen. Die durchaus annehmbare Auffassung des
Rechts als Wertverhältnis bleibt bestehen, wenn man als „Subjekt des
Rechtswertes® nicht den Gemeinzweck, der ja eben kein Subjekt ist
noch sein kann, sondern den Gemein willen eines jeden Gemeinwesens
erkennt. Vor allem vereinigt sich damit durchaus der wichtigste Kernpunkt
der Lehre von der „Rechtssouveränität“, dass die bindende Kraft des Rechts
in keiner Weise auf irgendwelcher persönlichen Autorität des Herrschers
oder Gesetzgebers beruht. Indem diese an der Rechtsproduktion teilnehmen,
„üben sie keineswegs ein Befehlsrecht aus, sondern sie bezeugen den
Rechtswert“, — den der Gemeinwille den betreffenden Normen beilegt. „Das
aus diesen Zeugnissen hervorgegangene Recht verdankt seine Gewalt aus-
schliesslich dem Umstande, dass es Recht ist, nie den Personen, die zu
seiner Feststellung mitwirkten. Und gerade, weil das Recht, einmal fest-
gestellt, aus eigener Kraft gilt, herrscht .... die Norm auch über alle, die
als Organe bei der Produktion tätig waren.“ So ergibt sich auch die Gleich-
artigkeit und Gleichwertigkeit von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht; wenn
dort der Gesetzgeber das Urteil des Gemeinwillens über den Rechtswert
bezeugt, wird es hier „aus dem Herkommen der Volksgenossen abgelesen,
deren Brauch und Sitten die Zeugnisse sind“. Gerade für den, der im Ge-
meinwillen das Subjekt des Rechtswerts erkennt, ist es einleuchtend, dass
„der Gesetzgeber es nicht in seiner Gewalt hat, die Rechtsüberzeugung der
übrigen Bevölkerung zu paralysieren. An der Rechtsschätzung beteiligen
sich tatsächlich, mag der Gesetzgeber es wollen oder nicht, sämtliche Volks-
genossen, individuell oder gruppenweise, auch ohne dass ihnen dazu ein
Mandat gegeben ist“ .... „Die im Rechtsbewusstsein der Volksgenossen