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sollen, dass ich bei richtiger Erkenntnis meiner Bedürfnisse mich
so verhalten hätte, also durch das gegenteilige Verhalten einem
Willen widersprochen habe, dessen ich zur Zeit desselben mir
nicht als des meinigen bewusst war, aber als des meinigen bewusst
gewesen wäre, wenn ich ihn als einen durch die richtige Wür-
digung meiner Bedürfnisse gegebenen erkannt hätte.
Dass ich ein bestimmtes Verhalten beobachten soll und dass
ich es schulde, ist sprachlich und sachlich dasselbe. Mit Unrecht
sagt man, ich könne nichts mir selbst schulden. Da ich verschie-
dene Bedürfnisse von verschiedenem Werte habe, ist, soweit die
Befriedigung des einen die des andern ausschliesst, das wert-
vollere ein solches, das auf Kosten des minder wertvollen zu
befriedigen ich mir schulde, und dieses ein solches, das um des
wertvolleren willen unbefriedigt zu lassen ich mir schulde. Enger
als der Begriff des Sollens und Schuldens ist der Begriff der
Pflicht, weil sich pflichtwidrig nur verhält, wer ein anderen vor-
gehendes Bedürfnis nicht befriedigt, obgleich er es erkennt oder
hätte erkennen können. Auch dieser Begriff bezieht sich aber
nicht nur auf mein Verhalten gegen andere. Ich fühle mich zu
einem bestimmten Verhalten verpflichtet, wenn ich das dadurch
befriedigte Bedürfnis als ein solches fühle, das den dadurch der
Befriedigung entbehrenden vorgeht.
Für mein Verhalten als ein sich durch meinen Willen be-
stimmendes ist mein Urteil über meine Bedürfnisse massgebend.
Dieses kann sich aber durch das mir bekannt gewordne Urteil
andrer bestimmen, weil ich ihnen mehr Kenntnis meiner Bedürf-
nisse oder der Mittel zu ihrer Befriedigung zutraue als mir selbst.
Und fremder mir bekannt gewordener Wille kann den meinigen
bestimmen, weil ich in seiner Befolgung eine Förderung und im
Gegenteil eine Hemmung meines Lebens sehe.
Ich habe das Bedürfnis, mich dem Urteil meines Arztes über
das meiner Gesundheit Förderliche gemäss zu verhalten, weil ich
das Bedürfnis habe, meine Gesundheit zu fördern und jenem so-