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Verhalten gegen sie.
Das Grundgesetz des Staates ist seine die obersten Staats-
organe bestimmende und ihre Gesetzgebung erst ermöglichende
Verfassung, und das allgemeinste Gesetz für ihr Verfahren ist ihre
Pflicht, ihre Zuständigkeit zum allgemeinen Besten auszuüben.
Darin liegt, soweit bestimmte Normen ihnen ein bestimmtes
Verfahren vorschreiben, ihre Verpflichtung, wenn sie es als dem
(emeinwohl schädlich erkennen und ihnen die Aufhebung jener
Normen zusteht, sie herbeizuführen. Die Normen, nach denen
sie kraft besonderer Bestimmung bei der Ausübung ihrer Zu-
ständigkeit zu verfahren haben, sind nicht deren Grundlage,
sondern eine nähere Bestimmung der Pflicht ihrer Ausübung.
Wenn es keine bestimmten Normen für die Form seines Ver-
fahrens und für den Inhalt seiner Entscheidung gäbe, hätte der
Richter nach seinem freien Ermessen den Prozess so zu leiten
und zu entscheiden, wie es nach seinem besten Wissen dem Ge-
meinwohl am meisten gemäss ist. Durch die Existenz solcher
Normen hat er die Pflicht, seine richterliche Gewalt ihnen gemäss
auszuüben. Dadurch ändert sich aber nichts am Umfange seiner
Gewalt, weil seiner Entscheidung gegenüber niemand geltend
machen kann, sie sei jenen Normen nicht gemäss, und seine
Pflicht zu deren Befolgung hebt nicht seine Pflicht auf, durch
sein Verfahren dem Gemeinwohl zu dienen. Sie sind erlassen als
solche, die nach dem massgebenden Ermessen der zu ihrem Erlasse
zuständigen Staatsorgane dem Gemeinwohl dienen. Dem Ermes-
sen des Richters fällt anheim ihre Anwendung auf den einzelnen
Fall, wobei ihm obliegt ihre dem Gemeinwohl möglichst gemässe
Auslegung, das für jedes Staatsorgan massgebend ist mit den
teils durch seine besondere Aufgabe teils durch die besondere
Normierung seines Verfahrens gegebenen Modifikationen. In
diesem Sinne ist salus publica suprema lex.