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die allgemeine Erwägung, dass der Begriff des Rechtssatzes ein
einheitlicher sein muss, dass es nicht angeht, unter Normen
bloss solche Befehle zu verstehen, die auf Unterlassung von De-
likten gerichtet sind. Der Rechtssatz ist ein Satz, der Pflichten
begründet, und wo wir eine Pflicht, sei es eine privatrechtliche
oder eine öffentlichrechtliche annehmen, muss dieselbe auf einem
Befehle beruhen. Das Gesetz will Einfluss ausüben. Das setzt
voraus, dass sich das Gesetz befehlend an Personen richtet. Es
ist also mit TuoNn und BIERLING anzunehmen, dass das gesamte
Recht ein Komplex von Normen ist.
Die Auffassung, dass die Normen sich nicht bloss an die
einzelnen Bürger, sondern auch an die Staatsorgane richten,
findet sich ebenfalls bei Tuon. M. E. MEYER, Rechtsnormen
und Kulturnormen, will überhaupt Rechtsnormen nur an die
Staatsbehörden gerichtet sehen, eine Auffassung, die aber nicht
haltbar ist.
Wenn die Rechtsordnung sich an die Staatsorgane wendet
und ihnen befiehlt, im Interesse der einzelnen tätig zu sein, so
entstehen Pflichten. Diese Pflichten der Staatsorgane sind so-
wohl solche gegenüber den einzelnen, wie auch gegenüber andern
Staatsorganen. Freilich sind diese Pflichten nicht stets erzwing-
bar, es besteht nicht immer ein Weg Rechtens, um sie festzu-
stellen und durchzuführen. Es gehört weder zum Begriffe des
Befehles noch der Pflicht, dass ein bezügliches Prozessverfahren
vorgesehen ist. Gerade je höher die Pflicht, je höher das Staats-
organ, an das die Norm gerichtet ist, desto mehr muss sich die
letztere auf die rein psychische Beeinflussung verlassen.
Die Annahme, dass die Imperative sich auch an die Staats-
organe wenden und für diese Pflichten begründen, hat zur Kon-
sequenz, dass die Organe als Subjekte und Persönlichkeiten des
öffentlichen Rechts zu betrachten sind. Fasst man dagegen die
Organe als unselbständige Apparate oder Werkzeuge eines aus-
schliesslich wollenden Staates im Verbande auf, der über die