— 5l5 —
gaben des Verf. ungenau. Auch die Behauptung des Verf., dass man die
Haager Schlussakte als die magna charta des modernen Landkriegsrechtes
bezeichnen könne (S. 3), ist recht stark anfechtbar; hätten wir nur die
Schlussakte, so wäre der Wert der ganzen Arbeit der Konferenz ziemlich
problematisch. Dem entsprechend ist die Schlussakte z. B. auch im deut-
schen Reichsgesetzblatt (1901, 393 ff) überhaupt nicht veröffentlicht. Auch
späterhin verwechselt Verf. fortgesetzt Schlussakte und Konvention; über
den juristischen Charakter der ersteren scheint er sich keineswegs klar zu
sein. Unzutreffend ist ferner die Angabe (S. 3), dass Bulgarien auf der
Konferenz kein Stimmrecht gehabt habe; die Protokolle ergeben das Ge-
genteil (vgl. hierzu in der amtlichen Ausgabe der Prot. II, 19, 40, 54; III
12, 122, 231 usw.) Die Haager Abkommen sind nach Ansicht des Verf.
„objektives Recht der Staatengemeinschaft, ihrem Wesen nach aber nicht
Verträge, denn sie schaffen kein ius intra partes, sondern ein ius supra
partes, d. h. sie geben einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung Ausdruck®
(S. 4). Ueber diese Behauptung des Verf. lässt sich zum mindesten streiten;
den Satz, dass alles, was einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung Ausdruck
gebe, damit im Völkerrechte ein „ius supra partes“ schaffe, wird Verf. bei
näherem Zusehen kaum in dieser Form aufrecht erhalten können. Näher
vermag ich mich an dieser Stellemit dem Verf. hierüber nicht auseinander-
zusetzen; das würde weit über den Rahmen der hier beabsichtigten kurzen
Besprechung hinausführen.
Die „comitas gentium (courtoisie internationale)‘, die Verf. als eine
Quelle des Spionagerechtes im Frieden neben dem Gewohnheitsrechte an-
führt (S. 5), ist als solche keine Quelle des Völkerrechtes, sondern ein leider
im Völkerrechte vielfach noch mitgeschleppter Begriff, der eines juristisch
präzisierbaren Inhaltes überhaupt entbehrt. Ebenso ist die vom Verf. er-
wähnte Scheidung zwischen militärischer und politischer Spionage juristisch
ohne jeden Belang. Auf die Frage, ob es eine Friedensspionage als völ-
kerrechtlichen Rechtsbegriff neben der Kriegsspionage überhaupt gibt,
komme ich unten noch zurück.
Für den ersten Teil der Abhandlung wäre sodann die Feststellung
nicht zu umgehen gewesen, dass Militärpersonen in Uniform
zukeiner Zeitund unter keinen Umständen als Spione
angesehen werden dürfen. Das hätte vom Verf. unter Bezugnalıme
auf Art. 29 des Haager Reglements von 1899 sehr viel schärfer herausgearbeitet
werden müssen, als es geschehen ist, denn nur von dieser negativen Feststellung
aus lässt sich zu brauchbaren Resultaten gelangen. Ob eine Offizierpa-
trouille in feindliches Operationsgebiet eindringt und von dort aus Funken-
telegramme an ihre Armee absendet, ob ein der Kriegsmarine angehöriges
Unterseebot unbemerkt in einen feindlichen Hafen gelangt: in allen diesen
Fällen sind nur die völkerrechtlich anerkannten Mittel der Abwehr und
Verteidigung zulässig; Spionage kann hier, auch wenn noch so viel — im
33*