Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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gaben des Verf. ungenau. Auch die Behauptung des Verf., dass man die 
Haager Schlussakte als die magna charta des modernen Landkriegsrechtes 
bezeichnen könne (S. 3), ist recht stark anfechtbar; hätten wir nur die 
Schlussakte, so wäre der Wert der ganzen Arbeit der Konferenz ziemlich 
problematisch. Dem entsprechend ist die Schlussakte z. B. auch im deut- 
schen Reichsgesetzblatt (1901, 393 ff) überhaupt nicht veröffentlicht. Auch 
späterhin verwechselt Verf. fortgesetzt Schlussakte und Konvention; über 
den juristischen Charakter der ersteren scheint er sich keineswegs klar zu 
sein. Unzutreffend ist ferner die Angabe (S. 3), dass Bulgarien auf der 
Konferenz kein Stimmrecht gehabt habe; die Protokolle ergeben das Ge- 
genteil (vgl. hierzu in der amtlichen Ausgabe der Prot. II, 19, 40, 54; III 
12, 122, 231 usw.) Die Haager Abkommen sind nach Ansicht des Verf. 
„objektives Recht der Staatengemeinschaft, ihrem Wesen nach aber nicht 
Verträge, denn sie schaffen kein ius intra partes, sondern ein ius supra 
partes, d. h. sie geben einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung Ausdruck® 
(S. 4). Ueber diese Behauptung des Verf. lässt sich zum mindesten streiten; 
den Satz, dass alles, was einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung Ausdruck 
gebe, damit im Völkerrechte ein „ius supra partes“ schaffe, wird Verf. bei 
näherem Zusehen kaum in dieser Form aufrecht erhalten können. Näher 
vermag ich mich an dieser Stellemit dem Verf. hierüber nicht auseinander- 
zusetzen; das würde weit über den Rahmen der hier beabsichtigten kurzen 
Besprechung hinausführen. 
Die „comitas gentium (courtoisie internationale)‘, die Verf. als eine 
Quelle des Spionagerechtes im Frieden neben dem Gewohnheitsrechte an- 
führt (S. 5), ist als solche keine Quelle des Völkerrechtes, sondern ein leider 
im Völkerrechte vielfach noch mitgeschleppter Begriff, der eines juristisch 
präzisierbaren Inhaltes überhaupt entbehrt. Ebenso ist die vom Verf. er- 
wähnte Scheidung zwischen militärischer und politischer Spionage juristisch 
ohne jeden Belang. Auf die Frage, ob es eine Friedensspionage als völ- 
kerrechtlichen Rechtsbegriff neben der Kriegsspionage überhaupt gibt, 
komme ich unten noch zurück. 
Für den ersten Teil der Abhandlung wäre sodann die Feststellung 
nicht zu umgehen gewesen, dass Militärpersonen in Uniform 
zukeiner Zeitund unter keinen Umständen als Spione 
angesehen werden dürfen. Das hätte vom Verf. unter Bezugnalıme 
auf Art. 29 des Haager Reglements von 1899 sehr viel schärfer herausgearbeitet 
werden müssen, als es geschehen ist, denn nur von dieser negativen Feststellung 
aus lässt sich zu brauchbaren Resultaten gelangen. Ob eine Offizierpa- 
trouille in feindliches Operationsgebiet eindringt und von dort aus Funken- 
telegramme an ihre Armee absendet, ob ein der Kriegsmarine angehöriges 
Unterseebot unbemerkt in einen feindlichen Hafen gelangt: in allen diesen 
Fällen sind nur die völkerrechtlich anerkannten Mittel der Abwehr und 
Verteidigung zulässig; Spionage kann hier, auch wenn noch so viel — im 
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