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schöpfliche Quelle von subjektivrechtlichen Relationen zwischen
Individuum und Gesamtheit schaffen. In diesem Stadium erst
beginnt das Problem des Dualismus im höchsten Grade aktuell
zu werden. Die theoretische Jurisprudenz sah sich damit einer
neuen Aufgabe gegenüber: dem übernommenen einheitlichen
Rechtssysteme des Altertums und Mittelalters jene neu hinzuge-
kommenen Rechtsverhältnisse einzufügen. Wie sie dieser Auf-
gabe gerecht wurde, ist bekannt.
Vor allem musste die antike und mittelalterliche Staatsidee
einer wissenschaftlichen Revision unterworfen werden. Der
omnipotente antike und impotente mittelalterliche Staat, die beide
in Bezug auf die untergebenen Individuen jenseits des subjekti-
ven Rechts standen, begannen ihre Stellung in der Rechtswissen-
schaft zu ändern, indem der erstere in die Rechtssphäre her-
abstieg, der letztere in dieselbe heraufgehoben wurde. Damit
entstand die Idee des Rechtsstaates. Der Gedanke aber, dass
jenes metajuristische Gebilde, der Staat, ganz ohne weiteres als
ein gewöhnliches Rechtssubjekt wie jedes andere in rechtliche
Relationen mit seinen Untertanen zu treten hätte, war dem Ge-
dankenkreise jener Denker, die zuerst instinktiv, durch den Ver-
lauf grosser politischer Ereignisse gezwungen, das schwierige
Problem zu behandeln anfingen, so fremd und ungeheuer, dass
es sicher nicht als Zufall zu bezeichnen ist, wenn die neue Pe-
riode der Rechtswissenschaft mit der Theorie des ius naturale,
einer Abart des schon früher gekannten ius divinum, anhub.
Das Individuum hatte danach nicht aus sich selbst gewisse
subjektive, vornehmlich als unveräusserlich bezeichnete Rechte
gegen den Staat, der Staat nicht ebensolche Verpflichtungen
gegen das Individuum als solches, sondern man konstruierte
für diese rechtlichen Beziehungen vorerst eine metajuristische
Wurzel in dem ius naturale, in der Natur, deren Gebote als
ausserhalb und über den geschriebenen Gesetzen stehend be-
trachtet wurden. Auf einem ähnlichen. Gedankengange beruht