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Folge gewaltiger historischer Ereignisse, teilweise infolge der
schriftstellerischen Tätigkeit einiger Philosophen — zu einem
unbewussten Gefühl wurde, kondensierte sich in den Systemen
der neueren Jurisprudenz in der Form des Dualismus im Rechte.
Man sah sich im allgemeinen einem neuen, überaus mächtigen
Rechtssubjekte, dem Staate, gegenüber. Es war genug, wenn
der noch vor kurzer Zeit „gehorsamste Untertan“ diesem mit
allen Mitteln der Souveränität ausgestatteten Rechtssubjekte
gegenüber sich im allgemeinen als Rechtssubjekt und nicht mehr
als willenloses Objekt zu fühlen beginnt. Man kann von ihm
nicht verlangen, dass er so weit gehen solle, die neugeschaffenen
rechtlichen Relationen zwischen ihm und dem Staate als wesens-
gleich mit jenen, die ihn von altersher mit anderen „gehorsamsten
Untertanen“ verbanden, zu betrachten. Dieser, in seinem Wesen
psychologische Grund der Unterscheidung trifft aber nun be-
greiflicherweise bei allen juristischen Schriftstellern, die sich mit
der Rechtsnatur des Staates beschäftigen, in grösserem oder
* Ich stehe nicht an, zuzugeben, dass ich ausser Stande bin, das eigent-
liche Wesen dieses Unterschiedes unmittelbar, d. h. ohne Umwege, wie dies
oben durch Benützung des Hypothesenbegriffes geschieht, klar zu formu-
lieren. Ich schäme mich dessen auch nicht, da diese Frage fast an das
fundamentale-philosophische Problem von der Grenze der wissenschaftlichen
Erkenntnismöglichkeit überhaupt stösst. Sie hängt mit der alten, schon
im Altertume aufgeworfenen Frage nach dem Verhältnis des Begriffes (der
Vorstellung) zur tatsächlichen Wirklichkeit zusammen.
So einfach wie sich AFFOLTER in seinem Aufsatze „Rechtsbegriffe und
Wirklichkeit“ (Archiv f. öff. Recht, XXI. Bd. S. 410) die Sache vorstellt,
ist sie allerdings nicht. Die Frage geht nicht, wie AFFOLTER meint, pri-
mär dahin, ob Rechtsbegriffe „wirklich“ sind oder nicht. Es fragt sich
vielmehr m. E., inwieweit man bei der Bildung von neuen Begriffen (u. zw.
logischen a contr. psychologischen Vorstellungen) an die Tatsachen der
Aussenwelt gebunden ist.
Wenn auch das Unterscheidungsmerkmul der verschiedenen Arten von
Begriffsbildung weder in der Möglichkeit bezw. Unmöglichkeit eines strikten
Beweises ihrer Richtigkeit noch in der Sinnfälligkeit oder Abstraktheit des
korrelaten wissenschaftlichen Objektes allein liegen kann, so muss es trotz-
dem in irgend einem spezifischen Merkmale dieses Objektes zu finden sein.