Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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Untertanen. (Dieses Wort — Untertanen — passt eigentlich gar 
nicht für die freien Bürger eines wahrhaft modernen Rechts- 
staates!)1%. Durch sie ist treffend der Vorgang veranschau- 
licht, wie der Gewaltfaktor sich freiwillig seiner grösseren ab- 
soluten Gewalt entkleidet und mit seinen „Untertanen“ eine 
bedingungslose Rechtsgemeinschaft eingeht. Er ist eben- 
sowenig Gewaltfaktor, wenn er mit einem freien Staatsbürger 
  
1 Ich habe diesen Satz niedergeschrieben, obgleich ich den jüngst im 
„Jahrbuch des öffentl. Rechts“ (1907, 1. Bd.) erschienenen Artikel ZORNs 
über die „Entwicklung der Staatsrechts-Wissenschaft seit 1866° gelesen 
habe. ZORN erklärt dort bei Besprechung der Verdienste GERBERS uın die 
neuere Staatsrechtswissenschaft, dass es GERBER war, der uns lehrte, „dass 
es armselige und lächerliche Sentimentalität sei, vor dem Worte Untertan 
ein Grauen zu haben“ (S. 53). Wenn auch das Wort „Untertan“ wirklich 
kein „Grauen“ zu erregen braucht, so lässt es trotzdem, falls man es nicht 
äusserlich, sondern mehr psychologisch-subjektiv fasst, ein unangenehmes 
Gefühl zurück. Man ist nämlich — im modernen Rechtsstaate wenigstens 
— nicht so sehr infolge äusserer Tatsachen (Gesetze, die die natürliche 
Freiheit der Individuen beschränken u, ähnl.) als durch seine eigene psy- 
chologische Veranlagung „Untertan“. Ich kann mir sehr gut einen selbst- 
bewussten, freien Staatsbürger vorstellen, der seine „Untertanenqualität“ 
dem Staate gegenüber nicht viel anders empfindet als irgend einem privaten 
Gesangsverein gegenüber, dem er freiwillig als Mitglied „untertan® ist, 
In seinem Innern stehen sich die beiden staatsbildenden Prinzipe des Indi- 
vidualismus und der Gesamtheit nicht mehr feindselig, sondern harmonisch 
gegenüber. Er fühlt, dass er ein lebendes Stück des ihn „beherrschenden“ 
(Gemeinwesens ist, er weiss, dass das Gemeinwesen um seinet- und seines- 
gleichen willen da ist, und er fühlt, dass er, wenn er den Befehlen und 
Anordnungen des Gemeinwesens bezw. dessen Organen Folge leistet, teil- 
weise sich selbst Folge leistet, da er ja — in der Regel wenigstens — 
nicht mehr passives Objekt der Herrschkünste anderer sein soll, sondern 
als tätiges Subjekt und zwar als Kreations- oder sogar Exekutivorgan 
des Gemeinwesens an dessen rechtlichem Leben aktiv mitwirken kann. 
Das Unangenehme in dem Worte „Untertan* liegt darin, dass man dabei 
infolge einer natürlichen Ideenassoziation an die Wörter „Herrschen“ und 
„Herrscher“ u. zw. in ihrer ajuristischen Bedeutung denkt. Denn streng 
genommen „herrscht“ ja nicht nur der Monarch oder Präsident einer Repu- 
blik, sondern jedes Rechtssubjekt, welches auf Grund eines Rechtssatzes 
dazu berechtigt ist, anderen Rechtssubjekten etwas zu gebieten bezw. zu 
verbieten. 
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