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Untertanen. (Dieses Wort — Untertanen — passt eigentlich gar
nicht für die freien Bürger eines wahrhaft modernen Rechts-
staates!)1%. Durch sie ist treffend der Vorgang veranschau-
licht, wie der Gewaltfaktor sich freiwillig seiner grösseren ab-
soluten Gewalt entkleidet und mit seinen „Untertanen“ eine
bedingungslose Rechtsgemeinschaft eingeht. Er ist eben-
sowenig Gewaltfaktor, wenn er mit einem freien Staatsbürger
1 Ich habe diesen Satz niedergeschrieben, obgleich ich den jüngst im
„Jahrbuch des öffentl. Rechts“ (1907, 1. Bd.) erschienenen Artikel ZORNs
über die „Entwicklung der Staatsrechts-Wissenschaft seit 1866° gelesen
habe. ZORN erklärt dort bei Besprechung der Verdienste GERBERS uın die
neuere Staatsrechtswissenschaft, dass es GERBER war, der uns lehrte, „dass
es armselige und lächerliche Sentimentalität sei, vor dem Worte Untertan
ein Grauen zu haben“ (S. 53). Wenn auch das Wort „Untertan“ wirklich
kein „Grauen“ zu erregen braucht, so lässt es trotzdem, falls man es nicht
äusserlich, sondern mehr psychologisch-subjektiv fasst, ein unangenehmes
Gefühl zurück. Man ist nämlich — im modernen Rechtsstaate wenigstens
— nicht so sehr infolge äusserer Tatsachen (Gesetze, die die natürliche
Freiheit der Individuen beschränken u, ähnl.) als durch seine eigene psy-
chologische Veranlagung „Untertan“. Ich kann mir sehr gut einen selbst-
bewussten, freien Staatsbürger vorstellen, der seine „Untertanenqualität“
dem Staate gegenüber nicht viel anders empfindet als irgend einem privaten
Gesangsverein gegenüber, dem er freiwillig als Mitglied „untertan® ist,
In seinem Innern stehen sich die beiden staatsbildenden Prinzipe des Indi-
vidualismus und der Gesamtheit nicht mehr feindselig, sondern harmonisch
gegenüber. Er fühlt, dass er ein lebendes Stück des ihn „beherrschenden“
(Gemeinwesens ist, er weiss, dass das Gemeinwesen um seinet- und seines-
gleichen willen da ist, und er fühlt, dass er, wenn er den Befehlen und
Anordnungen des Gemeinwesens bezw. dessen Organen Folge leistet, teil-
weise sich selbst Folge leistet, da er ja — in der Regel wenigstens —
nicht mehr passives Objekt der Herrschkünste anderer sein soll, sondern
als tätiges Subjekt und zwar als Kreations- oder sogar Exekutivorgan
des Gemeinwesens an dessen rechtlichem Leben aktiv mitwirken kann.
Das Unangenehme in dem Worte „Untertan* liegt darin, dass man dabei
infolge einer natürlichen Ideenassoziation an die Wörter „Herrschen“ und
„Herrscher“ u. zw. in ihrer ajuristischen Bedeutung denkt. Denn streng
genommen „herrscht“ ja nicht nur der Monarch oder Präsident einer Repu-
blik, sondern jedes Rechtssubjekt, welches auf Grund eines Rechtssatzes
dazu berechtigt ist, anderen Rechtssubjekten etwas zu gebieten bezw. zu
verbieten.
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