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Die oft zu bedauerlichen Resultaten führende Entfremdung
der zivilistischen Praxis und Theorie von der öffentlich-recht-
lichen ist jedoch nicht der einzige Grund, der gegen den prin-
zipiellen Dualismus angeführt werden kann. Als zweiter und
wichtiger Grund spricht gegen ihn die tatsächliche Gestaltung
unseres modernen Rechtslebens, die ihn immer weniger ver-
tragen wird. Hier ist nun ein Fall eingetreten, wo der frei
konstruierende Jurist aus Zweckmässigkeitsgründen an die ge-
gebenen Tatsachen des äusseren Lebens gebunden ist. Wenn
die römisch-rechtliche Doktrin den Dualismus in ihrem System
ausgebildet hätte, so wäre gegen diesen Vorgang nichts einzu-
wenden gewesen. Beobachten wir den antiken römischen Staat
im Gegensatz zu dem modernen, so sehen wir den ersteren als
omnipotenten öffentlich-rechtlichen Verband einigen armseligen
collegia funeraticia, tenuiorum, einigen municipia und civitates,
die noch dazu nur in vermögens-rechtlichen Beziehungen in
Betracht kommen, gegenüberstehen. Hier hätte sich allenfalls
das Prinzip der Individuation und das der Gesamtheit als
scharfes Unterscheidungskriterium verwenden lassen. Wie anders
sieht jedoch ein moderner Staat aus! Hier wimmelt es förmlich
von „sozialen ÖOrganisamen“, die dem eigentlichen Staate,
dieser personae publici iuris xat’ &Eoyxiv, eingegliedert sind und
den Uebergang zum eigentlichen privatrechtlichen Verbande
vermitteln. Da kommen vorerst die „Staatsfragmente“ als ru-
dimentär entwickelte Staaten in Betracht. Von diesen geht es
weiter zu den kommunalen Körperschaften, die mit den er-
wähnten Fragmenten als autonome Verbände der öffentlichen
hof. In seiner prekären Lage, entweder evident contra legem latam oder
aber gegen ein durchaus berechtigtes Erfordernis jedes modernen Gewerbe-
wesens zu entscheiden, griff dieser zum Dualismus im Recht als seinen
letzten Rettungsanker: er erklärte dieoffene Handelsgesell-
schaft für eine juristische Person des öffentlichen
Rechts. Auf diese Weise entstand die kuriose Entscheidung vom 6. Juli
1901 Z 5349,