Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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Wenn die legislative Praxis diese beiden Forderungen kon- 
sequent durchführte, dann wäre das, was für den theoretischen 
Hypothesenstreit, ob der oder jener Anspruch öffentlich- oder 
privatrechtlicher Natur ist, erübrigt, wahrlich nichts mehr als 
„graue Theorie“! 
Als ein überaus bedeutungsvolles Symptom der Annäherung 
der einst so weit voneinander liegenden Rechtssphären des In- 
dividuations- und Gesamtheitsprinzipes möchte ich die Institution 
der modernen Verwaltungsgerichtsbarkeit bezeichnen. Von an- 
derer Seite (hauptsächlich von LEMAYER) wird allerdings die 
Meinung vertreten, dass gerade diese Institution die Krone der 
reinlichen Scheidung beider Sphären bedeute. Mit nichten. 
Die Einsetzung eigener Gerichtstribunale als gleichsam privi- 
legierter fora für das öffentliche Recht und den Staat als An- 
geklagten erscheint mir als ein psychologisches Kompromiss 
einer absterbenden Rechtsanschauung mit einer neuen, vielleicht 
derzeit noch ziemlich unbewusst entstehenden. Nicht mehr soll 
nämlich z. B. über den Gehaltsanspruch irgend eines armseligen 
Beamten gegen den allmächtigen Staat der letztere auf bureau- 
kratisch-geheime Art selbst entscheiden, sondern der erstere 
lädt ihn vor die öffentlichen Gerichtsschranken, ebenso wie er 
irgend einen beliebigen anderen Schuldner auf Bezahlung seiner 
Schuld einklagt. Das „Oeffentlich-rechtliche“ dieses ganzen Vor- 
ganges liegt nicht so sehr objektiv in dem Rechtsverhältnisse 
selbst als in den psychologischen Vorstellungen des Klägers und 
des Angeklagten. Je mehr sich nämlich der erstere trotz der 
ihm zu Gebote stehenden Rechtskautelen als „untertänigster 
Diener* seinem Schuldner gegenüber fühlen, und je mehr die 
in dem Prozesse den Staat vertretende Behörde das Vorgehen 
zum Beisp. die Advokaten-, Notaren-, Apotheker- Handels- und Gewerbe- 
kammern)! Wenn diese Gebilde vom Zweckmässigkeitsstandpunkte aus 
auch noch so sehr den korporativen Charakter verlangen, so kann man 
trotzdem aus den bezüglichen Gesetzen beim besten Willen nicht den ge- 
ringsten Anhaltspunkt dafür gewinnen.
	        
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