— 57T —
des „renitenten“ Untergebenen als eine, wenn auch gesetzmässige
Unverschämtheit ansehen wird, desto mehr „öffentlich-rechtlicher
Natur“ werden beide in diesem Rechtsverhältnis erblicken. Je
mehr sich aber der Kläger seiner Stellung als freier Bürger
eines Rechtsstaates, als einer gleichwertigen Prozesspartei bewusst
wird, je mehr der geklagte Staat fühlen wird, dass es auf dem Boden
des Rechtes nur gleichwertige Rechtsgenossen geben kann und
keine Gewalt- oder sonstigen ausserrechtlichen Verhältnisse,
desto mehr werden beide Parteien der verblüffenden Aehnlich-
keit ihres Prozesses, ihrer Rechte und Pflichten mit jedem an-
deren privatrechtlichen Prozessverhältnis gewahr werden. Der
letzte Grund des Dualismus im Recht hat
eben eine psychologische Wurzel. Und eben der
Umstand, dass in dem Rechtsbewusstsein des Volkes und seiner
Rechtsgelehrten die tansendjährigen Reminiszenzen an den jen-
seits des Rechtes stehenden Gewaltstaat naturgemäss weiter-
wirken — wenn auch nicht bei jedem in gleicher Stärke —,
erklärt das zähe Festhalten der Jurisprudenz an dem Prinzip
des Dualismus. Eben darum konnte nicht kurzweg erklärt wer-
den, dass öffentliche Ansprüche und Verpflichtungen vor die-
selben Gerichte gehören, wie alle anderen Rechte, sondern man
schuf für sie eigene, privilegierte fora.
Die Evolution des modernen Staatslebens steht im Zeichen
einer allgemeinen Sozialisierung. Diese Sozialisierung könnte
man in Bezug auf das hier behandelte Thema als eine immer
mehr fortschreitende, gegenseitige Durchdringung der beiden Grund-
prinzip der Individuation und der Gesamtheit bezeichnen. Waren in
früheren Zeiten die Rechtsverhältnisse derartig, dass man sie
leichter unter eines von diesen beiden Grundprinzipien bringen
konnte, so wird eine solche prinzipielle Gruppierung heutzutage
immer schwerer: Rechtsverhältnisse, die seinerzeit als Typen
privatrechtlicher Beziehungen angesehen werden konnten, werden
heute vom Gesamtheitsprinzipe beherrscht d. h. sie bekommen
Archiv für öffentliches Recht. XXIII. 4. 37