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schiedene Begriffe deckt. Von einem völkerrecht-
lichen Begriff des Gleichgewichts könnte nur gesprochen werden,
wenn dereine Name auch einen Begriff bezeich-
nethätte,
Dem Standpunkt unseres Gelehrten nähert sich ein anderer
verdienter Autor, FRANZ VON HOLTZENDORFF, wie kurz darge-
legt werden soll. Er spricht dem Altertum, Mittelalter und der
Neuzeit bis 1648 den Besitz eines wahren internationalen Rechts
mit der Behauptung ab, es habe zwar „seit den ältesten Zeiten
überall einzelne Völkerrechtsverhältnisse“* gegeben,
aoch seien sie „gleichsam singular“ gewesen und „wesentlich
verschieden“ von dem 1648 n. Chr. geschaffenen „bleibenden
Völkerrechtszustande“!5. Da relative Dauer vielen antiken Völ-
kerrechtssätzen eignete, so will wohl HoLTZENDORFF das Wort
„bleibend“ absolut aufgefasst wissen. Damit stellt er sich auf
den Boden des naturrechtlichen Glaubens an ein ewiges Recht
und verlässt seinen Völkerrechtsbegriff, über den er im $1 sagt:
„Als Völkerrechtliche sind diejenigen Normen zu be-
zeichnen, in Gemässheit welcher die Rechtspflichten und Rechts-
ansprüche Verkehr pflegender, unabhängiger Staaten im Ver-
hältnis zu einander bestimmt und verwirklicht werden.“ In
Uebereinstimmung mit der herrschenden Auffassung lehrt er,
dass das Völkerrecht die Vereinigung von drei Momenten vor-
aussetzt: 1. das Vorhandensein und Nebeneinanderbestehen einer
Mehrheit selbständiger Staaten, 2. die Tatsache eines unter selb-
ständigen Staaten obwaltenden, geregelten und ständigen aus-
wärtigen Verkehrs, 3. den übereinstimmenden Willen der im
Verkehr stehenden Staaten, sich innerhalb ihres gesellschaft-
lichen Bestandes als Rechtssubjekte wechselseitig anzuerkennen
15 Handbuch des Völkerrechts I 390 f. Die auffallende Tatsache, dass
der Autor die Völkerrechtsgeschichte „gerade mit dem Jahre 1648° schliesst,
(wozu kein Grund vorliegt), hat v. Liszt, Völkerrecht, 5. Aufl. 1907 8. 15°
hervorgehoben.
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