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unmöglich, die gegenseitige Derogierbarkeit von Reichs- und Lan-
desgesetzen zu behaupten, d. h. neben dem Grundsatz: Reichs-
recht bricht Landrecht, auch den umgekehrten: Landrecht bricht
Reichsrecht, für gültig anzunehmen.
Wenn der Landesgesetzgeber keine Kompetenzhoheit hat.
dann muß jede von ihm ausgehende Ausdehnung seiner Kompe-
tenz gegen den Reichsgesetzgeber als ungültig angesehen werden.
Daß aber dem Landesgesetzgeber die Kompetenzhoheit abgespro-
chen werden muß, wenn man dem Reichsgesetzgeber eine Kom-
petenzhoheit über den Landesgesetzgeber zuspricht, ist offenkun-
dig. Die Kompetenzhoheit eines Gesetzgebers besteht nicht bloß
in der Fähigkeit, die eigene Kompetenz selbst zu bestimmen, son-
dern mehr noch in der negativen Fähigkeit, jede andere Autorität
von der Bestimmung der eigenen Kompetenz auszuschließen. Der
Landesgesetzgeber ermangelt der Kompetenzhoheit, sofern der
Reichsgesetzgeber des ersteren Kompetenz bestimmen kann; ja es
ist logisch unmöglich, daß die Kompetenz einer Autorität sowohl
durch sie selbst als auch durch eine andere bestimmt werde, daß
die Kompetenz des Landes sowohl durch den Landes- als auch
durch den Reichsgesetzgeber reguliert werde; das folgt aus dem
Postulat der obersten Einheit der normsetzenden Autorität. Wenn
dem Reichsgesetzgeber auf Grund der Reichsverfassung die Kom-
petenz zugesprochen wird, die Kompetenz des Landesgesetzgebers
zu bestimmen, dann mußte man, um daneben auch dem Landes-
gesetzgeber die gleiche Kompetenz zuspreehen zu können, sich
diesfalls auf eine Bestimmung der Reichsverfassung berufen kön-
nen. Die Reichsverfassung müßte bestimmen, daß die Kompetenz
des Landes sowohl durch Reichs- als auch durch Landesgesetz
geregelt werden könne, wobei eben stets das jüngere Gesetz dem
älteren vorangehen solle; so daß streng genommen nur über
reichsgesetzliche Delegation der Landesgesetzgeber eine Kompe-
tenzkompetenz auszuüben hätte, die eben wegen ihres delegierten
Charakters nieht mehr den Namen Kompetenzhoheit verdiente.