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herren allenthalben in den Besitz der hohen Gerichtsbarkeit ge-
langt. Die Entwicklung zur Landeshoheit war nicht mehr auf-
zuhalten. Die selbstmörderische imperialistische Kaiserpolitik tut
das letzte. 1220 kapituliert Friedrich Il. vor den geistlichen, 1231
vor den weltlichen Landesherren. Das Interregnum vollendet den
Zerfall der Reichseinheit, die goldne Bulle besiegelt ihn. Das
deutsche Volk, ermüdet von den Kämpfen ums Imperium, wendet
sich der staatlichen Ausgestaltung seiner engeren Heimat zu®.
Daran aber hat das Reich keinen nennenswerten Anteil mehr.
Fortan liegt alle staatliche Entwicklung bei den Territorien.
Deutschland in seiner heutigen Gestalt ist geboren.
Diese Bemerkungen über die politische Gestaltung Deutsch-
lands mußten vorausgehen, um die Darstellung der Rechtsent-
wicklung verständlich zu machen. Wir haben gesehen, die Stärke
des Lehnswesens ist es, die das Reich zu Falle gebracht hat.
Warum aber, so fragt man sich, konnte das Reich nicht aus
dieser Stärke selbst wieder Nutzen ziehen? Weil der Stärke
des Lehnswesens im Reiche gegenüberstand
die Schwäche des Lehnrechts. Das deutsche Reichs-
lehnrecht war nicht zu seiner vollen Strenge durchgebildet. Denn
an sich hatte das Lehnrecht seine besondere Strenge, die es über
das gemeine Landrecht hinaushob, in demselben Sinne wie wir
im Flusse begriffen. Vgl. die neuesten zusammenfassenden Bemerkungen
bei KEUTGEN S. 55ff.: Die Ergebnisse FicKErs werden allmählich abge-
baut, ohne durch allgemein gültige neue ersetzt zu werden. Der Text ver-
tritt den Standpunkt v. DUNGERNS, der sich aus verstreuten Bemerkungen
gewinnen läßt (z. B. Herrenstand im Mittelalter 1908 All fi. Kritik von
Fıckegs Reichsfürstenstand II in Mitteil. des Inst. für österr. Geschichts-
forsch. 1912 368 ff. Vgl. SCHÖNHERR, Der Reichsfürstenstand 1914 S. 140 f.).
Vielleicht wird nur die Rechtsvergleichung Klarheit in die besonders ver-
wickelten deutschen Verhältnisse bringen. Auch in Frankreich schreitet
man, um den Uebergang zum Lehnsstaat zu markieren, um 1200 zur be-
wußten Schaffung eines Reichsfürstenstandes, der pairs de France.
® Nach WERMINGHOFF, Neuere Arbeiten über das Verhältnis von Staat
und Kirche, Hist. Vierteljahrschr. 1908 S. 165,