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man auf den ersten Bliek annehmen möchte. Denn nicht allein
wirtschaftlich hätte das Reich dann günstiger gestanden. Vor
allem hätte es auf einem zusammenhängenden Territorium eine
selbständige Verwaltung und Gerichtsbarkeit zur Ausübung bringen
können. In diesem Zusammenhang mit der Gerichtsbarkeit lag
ja die eminente staatsrechtliche Bedeutung der Grundherrschaft
ım Mittelalter. Dieses Dominialgut hätte dann die Keimzelle
werden können, von der aus sich die Rechtspflegetätigkeit des
Reiches durch ganz Deutschland hin fortpflanzen konnte. Ein
geschlossenes, sich ständig erweiterndes Rechtspflegegebiet konnte
die Brücke zur Reichseinheit werden.
Der Leihezwang ist es gewesen, der diese Entwicklung ver-
hindert hat. Er ist schuld an der Abwanderung der Rechtspflege
in die Territorien. Dort nämlich hatte der Leihezwang keine
Macht mehr über sie. Den Territorialherren gelang es, ihn ge-
wohnheitsrechtlich außer Kraft zu setzen. Sie griffen mit der
Entziehung erledigter und verwirkter Lehen rücksichtslos durch.
Sie besetzten ihre Gerichte immer mehr mit Amtleuten und Vögten,
mit abhängigen Beamten. Sie zentralisierten die Rechtspflege
in ihren obersten Landesgeriehten. Dadurch schufen sie sich den
mächtigsten Hebel zum Aufstieg. In den Territorien erwachte
zuerst modernes Staatsleben. Sie sind die Geburtsstätten des
heutigen Staates.
Trotzdem stand für das Königtum noch ein Weg offen, um
dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Dieser war gegeben
in der Anknüpfung an die persönliche Rechtsprechung des Königs,
an das Königsgericht.
Seit je hatte der fränkische König Recht gesprochen. Nicht
nach den strengen Regeln des Volksrechts, sondern nach seiner
persönlichen Rechtsüberzeugung, nach Billigkeit. Im Königs-
gericht war Gelegenheit, dem alten starren Prozeßformalismus
132 Darüber insbesondere BRUNNER, Entstehung der Schwurgerichte 1871
S. 70 ff. Deutsche Rechtsgeschichte II 135 ff.