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Ich verlasse nun die deutschen Verhältnisse und gehe über
zu Frankreich, wo in der Geschichte des Parlement de Paris ein
Gegenbild zu zeichnen sein wird !”.
In Frankreich hatte die Schwäche der letzten Karolinger den
Verfall der Aemterverfassung beschleunigt. Im 11. Jahrhundert
sah sich das französische Königtum auf dem Tiefpunkte seiner
Macht. Es war arm und schwach gegenüber den Lehnsfürsten,
deren jeder die volle Souveränität für sich beanspruchte.
Im 12. Jahrhundert beginnt der einzigartige Aufstieg der
französischen Königsmacht, dem Aufstieg Roms zur Weltherr-
schaft vergleichbar. Die Größe liegt vor allem in dem bewußten
Hinarbeiten auf den Erwerb aller Macht im Staate für das König-
tum. Dort wird das Lehnrecht von Reichs wegen in seiner vollen
Strenge angewandt, als das einzige Mittel: des Königs, sich in
einer feudalisierten Gesellschaft Geltung zu verschaffen. In Frank-
reich gibt es keinen Leihezwang. Das Königtum behält heim-
fallende Lehen mit eiserner Konsequenz ein. Der ganze Riesen-
besitz Johanns ohne Land, darunter die Normandie, fällt nach
seiner Verurteilung 1202 an die französische Krone — ein lehr-
reiches Seitenstück zum Schicksal der welfischen Lehen! So wurde
aus einem ohnmächtigen Schattenkönigtum schließlich die Vor-
macht in ganz Frankreich.
Das Königtum war zunächst nur das Haupt der in den Do-
mänen entstehenden Eigenverwaltung. Dort entwickelte sich gar
bald ein reges staatliches Leben. Dort entstanden reine Beamten-
gerichte: die baillis und prevöts sprachen Recht im Namen des
Königs. Das königliche Hofgericht war zunächst nur Oberhof
dieser königlichen Niedergerichte.
Im Bezirke seines Kronguts war der König Souverän. Im
übrigen Frankreich war er nur oberster Lehnsherr, nur primus
inter pares. Er steht an der Spitze der französischen Lehnshier-
1? Wegen des Folgenden und der Literatur wird verwiesen auf HoLTz-
MANN, Französische Verfassungsgeschichte 1910.