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die leichtfertigen Freisprüche der Offizialate genossen traurige Be-
rühmtheit.e Da fährt denn das Parlament mit einem eisernen
Besen dazwischen. Es verlangt genaue Prüfung der saisina cleri-
catus, ja sogar so weit wird gegangen, daß das weltliche Gericht
auch bei begründeter Einrede der Unzuständigkeit das Verfahren
bis zur urteilsreifen Feststellung der Schuld des Angeklagten
durchführt. Dann wird der Angeklagte dem geistlichen Richter
übergeben „ad puniendum“. Und der procurator regis wacht
darüber, daß die Bestrafung auch wirklich erfolgt.
So wird das Parlament de Paris der Oberhof nicht bloß der
weltlichen, sondern auch der geistlichen Gerichte Frankreichs.
Seine Macht ist nahezu unbegrenzt. Schon im 13. Jahrhundert
muß sich der Adel Frankreichs im Liede sagen lassen, er habe
sich seiner besten Rechte, ja seiner Freiheit begeben, da er vor
Gerichte nicht mehr mit dem Schwerte kämpfe, sondern gerichtet
werde „par enqueste* ®, Das Parlament ist der Juwel der fran-
zösischen Krone. Als im Jahre 1416 der deutsche Kaiser Sigis-
mund Paris besucht, wird er auch in eine Sitzung des Parlaments
geleitet, ihm sogar die Entscheidung einer Sache anvertraut.
Er entledigt sich seiner Aufgabe in feiner Weise, indem er den
Beklagten, einen verdienten Mann, aber nicht von Adel, der im
Rechtsstreit gegen einen Adligen zu unterliegen droht, zum Ritter
schlägt, worauf. das ganze Gericht in Beifall ausbricht — eine
von den zeitgenössischen Geschichtsschreibern oft geschilderte Szene.
II.
Hiermit soll das summarische Inventar, das über die deutsche
und französische Rechtsentwicklung gemacht wurde, abgeschlossen
sein. Nun bleibt noch die Bilanz zu ziehen.
2 Gent de France, mult estes esbahie
Je di & touz ceus qui sont nez des fiez:
Si m’ait Dex! Franc n’estes vous mes mie:
Mult vous a l’en de franchise esloigniez,
Car vous estes par enqueste jugiez ...
Namenloses Chanson aus der Zeit Ludwigs IX (bei Viollet Etabliss. I p. 275).
38 Vgl. DucouprAY a. a. O. p. 1029.