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untersucht werden, in der die Staatsentwicklung mit der Justiz,
mit der staatlichen Rechtspflege gestanden hat; insbesondere soll
nachgeforscht werden, ob und inwiefern die Rechtspflege
ihrerseits auf die staatliche Bildung Deutschlands eingewirkt hat.
Diese Fragestellung bedarf selbst erst der kurzen Rechtferti-
gung?. Unsere heutige Gewöhnung an das Leben im Rechtsstaate
bringt es mit sich, daß wir den Staat als logische Kategorie, als
von selbst gegebene, auch in der Geschichte unwandelbar feste
Größe anzusehen geneigt sind. Aus diesem vorgefaßten Staatsbe-
griff werden dann wohl die einzelnen Funktionen des Staates:
Rechtspflege, Kulturpflege usw. einfach abgeleitet. Auf diese
Weise erscheint es ganz selbstverständlich, ein starker, einheit-
licher Staat müsse sich jederzeit in einer kräftigen, durchgreifen-
den Rechtspflege geäußert haben; in einem schwachen und zer-
splitterten Staate müsse auch die Justiz zur Ohnmacht verurteilt
gewesen sein. Doch lohnt es vielleicht, die Dinge auch einmal
von der anderen Seite zu betrachten. Der Staat ist eben keine
logische Kategorie, sondern das Ergebnis geschichtlichen Werdens.
Er bringt seine Funktionen nicht aus sich hervor, sondern ist selbst
wieder das Produkt seiner Funktionen. Nicht der Staat ist das
Primäre, sondern die einzelne Aeußerung staatlichen Lebens; aus
dem Zusammenwirken vieler solcher Aeußerungen entsteht der
Staat. So hat sicher auch die Rechtspflege, die seit je innerhalb
menschlicher Verbände geübt worden sein muß, Anteil am Ent-
stehen des Staates. Zwischen Staat und Recht besteht eine Wechsel-
wirkung, wobei das Recht überwiegend der gebende Teil ist. Aus
der Höhe, auf der Recht und Rechtspflege stehen, wird der Staat
Nutzen ziehen; unter ihrem Tiefstand muß er leiden.
?2 Die Frage ‘nach der Natur des Staates im Mittelalter ist neuerdings
wieder lebhafter in Fluß geraten durch die Werke von v. BELOw, Der
deutsche Staat im Mittelalter, 1914 (vgl. dazu HüBNneEr, Zeitschrift der
Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ZR@.), Germ. Abt. 1914 S. 484 ff.)
und KxuTeEn, Der deutsche Staat im Mittelalter, 1918, auf die wegen der
Literatur ein für allemal verwiesen wird.