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behalten. Polen sah sich darauf nach anfänglicher Weigerung
gezwungen, in die vertragsweise Abtretung der betreffenden Ge-
biete zu willigen, wozu auch am 11. April 1775 der polnische
Reichstag zustimmte °. In gleicher Weise vollzog sich die zweite
Teilung, die schließlich wiederum zur vertragsweisen Abtretung
der in Anspruch genommenen Gebiete führte’. Die dritte Teilung
vom Jahre 1795 brachte allerdings keine förmliche Abtretung
mehr, nur eine Abdankung des polnischen "Königs Stanislaus
August®. Da er allein zur Vertretung der Republik Polen nicht
berechtigt war, so kann in dieser Abdankungserklärung allerdings
eine Abtretung nicht gesehen werden. Die Besetzung selber voll-
zog sich nur unter heftigen Kämpfen gegen das von Kosciusko
geführte revolutionäre Heer, so daß z. T. in der Literatur die An-
sicht vertreten wird, daß die dritte Teilung nichts als eine
kriegerische Eroberung sei?®. Das möchte ich allerdings nicht
annehmen, denn die polnischen Nationalrevolutionäre waren bis
zur Errichtung einer wirklichen neuen Revolutionsregierung nicht
geschritten. Es würde daher mangels einer förmlichen Abtretung
die einseitige Annexion eines ganzen Staates im Frieden vor-
liegen, wie sie in ähnlicher Weise z. B. bei der Vernichtung des
Kirchenstaates im Jahre 1870 anzunehmen ist.
Der so geschaffene Gebietsbestand blieb jedoch nicht von
Dauer. Bekanntlich errichtete Napoleon nach denı Tilsiter Frie-
den aus Teilen des früheren polnischen Staates einen neuen, das
° Oesterreichisch-polnischer Vertrag vom 18. September 1773, russisch-
polnischer vom gleichen Tage, preußisch-polnischer vom 15. März 1775
sämtlich M. R. II 109 ff. Vgl. Beer, Die erste Teilung Polens mit Doku-
menten 1873. BRANDENBURGER, Polnische Geschichte 1907, S. 162 ff.
? Russisch-polnischer Vertrag vom 13. Juli 1793, preußisch-polnischer
vom 25. September 1793, M.R. V 530 ff. BRANDENBURGER a. a. O. 8. 170 ff.
HERRMANN, Die Österreich-preußische Allianz vom 7. Februar 1792 und
die zweite Teilung Polens 1861.
8 BINDER, Der Untergang des polnischen Nationalstaates 1843/44, Bd. I,
S. 150 ff.
® So z. B. WESTLAKE, International Law 1904—7, Bd. 1, S. 66.