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mag doch so viel gesagt werden, daß es für den Reichsgesetzgeber in
der Tat nicht selbstverständlich war, die preußischen Verwaltungs-
gerichtseinrichtungen als in jeder Beziehung nur vorbildlich zu be-
trachten. In der Tat stellt das sächsische Verwaltungsrechtspflege-
gesetz von 1900 in mehr als einer Beziehung einen Fortschritt in der
Lösung des ganzen Problems „Verwaltungsgerichtsbarkeit* dar, und
das sächs. OVG. hat auf Grund desselben seine Funktion in nunmehr
auch schon über 20jähriger Tätigkeit höchst erfolgreich ausgeübt.
Es kann dank der Generalklausel für Anfechtungsklagen dem Rechts-
schutzbedürfnis im allerweitesten Maße entgegenkommen und hat in
Durchleuchtung und Fortbildung des sächs. Verwaltungsrechts in dieser
Zeit ganz hervorragendes geleistet; in Beziehung auf die juristische
Durchbildung der Urteile, namentlich auch das Bestreben, sich die
Fortschritte der Verwaltungsrechtswissenschaft zunutze zu machen,
ist es entschieden über das preußische OVG. zu stellen.
Von einem ähnlich hohen Stand der Verwaltungsrechtspflege in
Württemberg kann nun allerdings nicht gesprochen werden; sie ist
dort vielmehr aus allerlei Gründen in der Entwicklung zurückgeblieben,
obwohl die Generalklausel des Art. 13 württ. VRG. von 1876 (Rechts-
beschwerde wegen jeder Rechtsverletzung zulässig) eigentlich eine
ideale Grundlage für ihre Entfaltung bot?®. Anknüpfung an das dort
® Der wichtigste Grund dafür ist wohl, daß in Württemberg wegen
der weitreichenden parlamentarischen Kontrolle der Verwaltung, die auch
gar nicht die Machtstellung hatte, wie in Preußen, die Verwaltungsrecht-
sprechung nicht so nötig war wie dort. Außerdem spielte sine etwas
bureaukratische Tradition des Geheimen Rats, des Vorläufers des VGHofs in
Beziehung auf diese Rechtsbeschwerde-Entscheidungen, eine Rolle. Nichte-
destoweniger kann dem württ. VGHof der Vorwurf nicht ganz erspart
werden, seinerseits durch eine durchschnittlich enge, manchmal engherzige
Auslegung des Begriffs subjektives Öffentliches Recht seiner Wirkungs-
möglichkeit selbst unnötig enge Schranken gezogen zu haben. Für die
Tendenz seiner Rechtsprechung überhaupt ist am bezeichnendsten, daß er
die Geltung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht wie
das preußische OVG. mit allen Mitteln befestigt, sondern es in seiner
schärferen Fassung vielmehr bis heute abgelehnt hat, indem er es genügen
läßt, daß ein Verwaltungsakt nicht einem gesetzlichen Verbot widerspricht,
statt positive Ermächtigung für jeden Verwaltungsakt zu verlangen.
Material darüber in meinen Subjektiven öffentl. Rechten S. 104 ff., 319 ff.
und in einem soeben erschienenen Aufsatz: „Eine Schwenkung in der
Rechtsprechung des VGH.?* (Württ. Z. f. freiw. Gerichtsbarkeit und Ge-