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sprachlichen Ausdrucksmittel ist in ihrer Bedeutung unscharf und
schwankend. Jeder Mensch hat seinen eigenen Sprachgebrauch
und arbeitet stetig, bewußt oder unbewußt, an dessen Weiterbil-
dung und damit an der Weiterbildung der Sprache im ganzen.
Die Auslegung und Anwendung des Gesetzes hat daher auch
nach den Voraussetzungen des juristischen Positivismus eine Syn-
thesis von ganz anderer Art zur Voraussetzung als es die mathe-
matische „Synthesis“ ist. Die ratio sufficiens, der Ver-
knüpfungsgrund der synthetischen Urteile, die
der juristischen Deduktion zum Ausgangspunkt
dienen, liegtin der Induktion.
Nun findet Induktion allerdings auch in der Mathematik und
im allerweitesten Umfang in Naturwissenschaften Anwendung,
deren „Exaktheit* ihnen das Prädikat der „Objektivität“ in dem
oben festgestellten Sinn im allgemeinen sichert.
Von der Rolle der Induktion in der Mathematik zu sprechen,
bin ich nieht berufen. Aber diese Induktion stellt jedenfalls den
deduktiven Charakter der Mathematik im übrigen ebensowenig in
Frage wie etwa, nach den Voraussetzungen des juristischen Posi-
tivismus, die bereits berührten Probleme des „Eirmessens“* und der
„quaestio facti” den streng deduktiven Charakter aller sonstigen
„rechtsdogmatischen“ Schlußfolgerungen. Aber wir wissen jetzt,
daß wir nicht nur in der Sphäre des „Ermessens“ und der „quae-
stio facti“, deren Abgrenzung übrigens dem Positivismus voll-
kommen problematisch ist, sondern bei jeder Interpretation der
sprachlichen Ausdrucksmittel des Gesetzes mit Induktion zu tun
haben, es würde sich denn um vollkommen eindeutig fixierte Aus-
drücke für wissenschaftlich feststehende Begriffe, z. B. um Raum-,
Zeit- und Zahlbegriffe handeln. Daher haftet jeder juristischen
Auslegung und Anwendung eines Gesetzes ein subjektives Moment
an die Präzision, die „Objektivität“ der Mathematik ist ihr not-
wendig unerreichbar.
Aber auch von der „Exaktheit“ der Naturwissenschaften, kann