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fassungsrechtliche Bestimmungen dem parlamentarischen Prinzipe
entgegenstehen’!
In einigen wichtigen Fällen ist aber in den deutschen Ver-
fassungen die unmittelbare Mitwirkung der Staatsbürgergesamtheit
bei Erledigung der Staatsgeschäfte vorgesehen. Diese Mitwirkung
wird praktisch im Verlaufe eines bestimmten Gesetzgebungsver-
fahrens oder bei einer bestimmten Gebietsveränderung, und erfolgt
im Wege der Volksabstimmung und des Volksbegehrens. Durch
diese erhalten zwar das Reich und die Länder zweifellos „einen
Zug unmittelbarer Demokratie“, ® der jedoch den — überwiegen-
den — Charakter der deutschen Staatswesen als mittelbarer reprä-
sentativer Demokratien u. E. nicht aufhebt°.
Unter dem Referendum (Volksabstimmung, Volksentscheid)
verstehen wir eine staatsrechtliche Einrichtung, kraft welcher die
Staatsbürgergesamtheit über bestimmte Beschlüsse der gesetzge-
benden Körperschaft abstimmt. '° REHMs Begriffsbestimmung des
Referendums als einer „Pflicht der Volksvertretung, in bestimmten
Angelegenheiten die Bestätigung des Volkes einzuholen“
erscheint uns heute im Hinblick auf dessen „moderne“ Gestaltung
zu eng. Denn einmal werden Volksabstimmungen nicht nur von
der Volksvertretung veranlaßt, von dieser gerade nach den jetzt
gültigen deutschen und außerdeutschen Verfassungen — soweit
letztere das Referendum kennen — am seltensten, und zum anderen
soll das Volk durch diese Abstimmungen nicht nur „bestätigen“
bezw. die Bestätigung versagen und damit den Gesetzentwurf zu
? Vgl. KOELLREUTTER, Das parlamentarische System in den Deutschen
Landesverfassungen in „Recht und Staat“, Tübingen 1921, S. Y£.
8 VON SEYDEL a. a. O. 8. 484.
% Ebenso REum a. a. O. 8. 184.
10 Vgl. BURCKHARDT, Kommentar zur Schweizer Bundesverfassung
Bern 1905, S. 769, Haspaca, Die moderne Demokratie, Jena 1912, S. 142
HATSCHER, Allg. Staatsrecht, Teil II, Das Recht der modernen Demokratie
S. 83, Kocn, Cassel in der Nationalvers. vom 5. Juli 1919, Bd. V 3281, Comn
a. a. O. S. 3309, QuAarck a. a. O. S. 3312/13.
ıı Reum a. a. OÖ. S. 184.