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Einspruch erheben (Art. 74, Abs. 1). ‚Auch dieser Einspruch ist
als eine Art Veto mit Suspensiveffekt°? zu werten, da er ein Ver-
bot darstellt, das von der Volksvertretung beschlossene Gesetz in
dieser Fassung zur Verkündigung zu bringen, und dadurch zugleich
und zunächst die rechtliche Bindung der Staatsbürger durch dieses
hemmt. Da der Einspruch erst nach Verabschiedung des betref-
fenden Gesetzes°®, d. h. nach Erteilung des Sanktionsbeschlusses
erhoben werden kann, richtet sich das Veto gegen die Exekutive,
insbesondere den Reichspräsidenten. Bei weiterer Nichtüberein-
stimmung erhält der Reichspräsident, wenn der Reichstag über
einfache Gesetze jedoch nicht mit qualifizierter ?/s Mehrheit erneut
beschlossen hat, wieder die Schiedsrichterrolle zugewiesen, er kann
unter Gegenzeichnung der Regierung ein solches Gesetz der Volks-
abstimmung unterbreiten, und wird es tun, wenn er mit dem Reichs-
tag konform geht und hoffen darf, die mangelnde Zustimmung des
einzelstaatlichen Vertreterorgans werde durch den Volksentscheid
ersetzt werden. Auf diesem Wege kann also, wenn das Volk den
Beschluß ‘des Reichstags bestätigt, der Einfluß des foderalistischen
Reichsorgans gänzlich ausgeschaltet werden. Der Reichspräsident
kann sich aber auch, evtl. ohne Zustimmung der Regierung, gegen-
über dem wiederholten aber nicht mit qualifizierter Mehrheit gefaßten
Reichstagsbeschlusse untätig verhalten, z. B. aus der Erwägung
heraus, daß ein Schutz°* der Wünsche des Reichsrats zugleich
die Interessen des ganzen Volkes fördern heißt — anders wird er
als unitarisches Reichsorgan kaum denken können. Infolge dieses
stillschweigenden Widerspruchs brieht dann das bestimmte gerade
im Fluß befindliche Gesetzgebungsverfahren unvollendet ab, und
»= BEYERLE, 16. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 27. März 19.
Prot. S. 162, PrEuss a. a. O. S. 164.
5 Pgeuss in der Nationalvers. vom 24. Februar 19, zit. bei HEILFRON
8. 693, Koch, Cassel, in der Nationalvers. vom 5. Juli 19, zit. bei HEILFRON
Bd. 5, S. 3280.
54 KATZENSTEIN in der Nationalvers. vom 7. Juli 19, zit. bei HEILFBON
Bd. 5, 8. 8320.