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entscheidende Rolle spielt, bleibt diese in Preußen ganz ausge-
schaltet, hier führt bzw. entscheidet die Volksvertretung in ihrem
Meinungsstreite mit der Vertretung der Provinzen selbst. Für
einfache und verfassungsändernde Gesetze gilt in Preußen das
gleiche.
Eine Besonderheit ist im Reich und in Preußen hinsichtlich
des Etats normiert worden. In beiden Ländern können nur mit
Zustimmung des Reichsrats bzw. des Staatsrats im Entwurf des
Haushaltsplans durch die Volksvertretung eingesetzte Posten er-
höht bzw. neue Positionen eingesetzt werden (Reichsverf. Art. 85
Abs. 4, Preuß. Verfassung Art. 42, Abs. 4). Die Kompetenzen der
beiden „föderalistischen®* Organe sind hier also vom negativen
Einspruch zur positiven Zustimmung erweitert worden. Jedoch
besteht im Reich die Möglichkeit, den Widerstand des Reichsrats
zu brechen, da hier die Anwendbarkeit der Vorschriften des
Art. 74, nach denen dieses möglich ist (s. o.), für diesen Fall aus-
drücklich vorgeschrieben ist. Diese Regelung bedeutet wieder
einen Rückschritt gegenüber dem ersten Entwurf, nach dessen
8 82, Abs. 4 der Reichsrat derartige Etatveränderungen selbst
streichen konnte, ohne daß sich die anderen Reichsorgane, ins-
besondere das Parlament, dagegen hätten wehren können ®?, Be-
schließt also die Volksvertretung die Positionserhöhung bzw. Po-
sitionsneueinstellung erneut mit einfacher Mehrheit, so kann eine
vom Reichspräsidenten angeordnete Volksabstimmung den Beschluß
des Parlaments bestätigen. Freilich kann auch der Reichspräsi-
dent das Gesetz unerledigt lassen bzw. kann die Volksabstimmung
den Beschluß des Reichstages verwerfen, in beiden Fällen hätte
dann der Reichsrat gegenüber dem Parlamente obgesiegt. Beschließt
dagegen der Reichstag erneut mit ?/; Majorität, kann der Reichs-
präsident durch Verkündigung dieses so beschlossenen Gesetzes
den Widerspruch des Reichsrats aus dem Felde schlagen, bzw.
e® KocH, Cassel, und SAEMISCH in der 17. Sitzung des Verfassungsaus-
schusses vom 28. März 19. Prot. 8. 163/4.