Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§6 18. Zuständigkeit des Bundesrathes. 113 
Erledigung zu bringen habe, so ist auch hier wie im Falle des Absatz 1 in 
Artikel 76 gemeint, daß das Reichsgesetz nicht unmittelbar den Streit entscheide, 
sondern daß es die Entscheidung einem Dritten, einem Gerichte, übertrage. So ist 
auch verfahren in dem Reichsgesetze, betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts 
für Streitfragen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft der freien und Hanfe- 
stadt Hamburg (R.-G.-Bl. 1881, S. 37). Daß nicht der Bundesrath allein, wie 
im Falle des Absatz 1, sondern der Reichsgesetzgeber den Streit zur Erledigung bringen, 
d. h. das zuständige Gericht auswählen soll, erklärt sich daher, daß man bei Ver- 
sassungsstreitigkeiten die Volksvertretung, den Reichstag, nicht fortlassen zu dürfen 
glaubte. Können Bundesrath und Reichstag sich über ein solches Gericht nicht 
einigen, d. h. kommt ein Reichsgesetz nicht zu Stande, so kann die Verfassungs- 
streitigkeit nicht von Reichswegen zur Erledigung gebracht werden. Die gemäß 
Reichsgesetz ergehende Entscheidung hat legis imperü vicem, d. h. fie geht un- 
bedingt dem Landesrecht vor, Regierung, Volksvertretung, Behörden und Unter- 
thanen des Bundesstaates haben sie zu befolgen. Was aber inhaltlich durch 
Reichsgesetz festgestellt ist, hat nur die Bedeutung, daß es zur Zeit des Reichs- 
ge setzes als die Ansicht des Reichsgesetzgebers über den Verfassungsstreit zu gelten 
hat, also z. B., daß die Auslegung, welche der Senat von Hamburg einer Ham- 
burgischen Gesetzesvorschrift giebt, und nicht die Auffassung der Hamburger Bürger- 
schaft die richtige und maßgebende ist. Das bezügliche Hamburgische Gesetz wird 
aber dadurch kein Reichsgesetz, kann also wie jedes andere Hamburgische Gesetz im 
Wege der Hamburgischen Gesetzgebung abgeändert werden; vgl. hierzu Arndt, 
Komm., S. 287 f., Laband, Reichsstaatsrecht, I. S. 239, Seydel, Comm., 
S. 408. 
Eine Verfassungsstreitigkeit im Sinne des Artikels 76 liegt nicht vor, wenn in 
dem betreffenden Bundesstaate eine Verfassung nicht besteht und ihre Einführung 
erst verlangt wird, oder wenn sich dieselbe auf ein Vorkommniß vor Erlaß der 
Bundesverfassung bezieht; val. hierzu u. A. die Sten. Ber. des Reichstages 
1869, S. 940 ff., 1872, S. 948 ff., 1872, Bd. III, Actenstück Nr. 120, S. 532 ff., 
1873, Bd. III, Actenstück Nr. 14, S. 66, und 1894/95, Drucks. Nr. 24, 81, 48, 
Sten. Ber. S. 674 ff., 845 ff. und 1000 ff. 
Das Recht des Bundesrathes, darüber zu beschließen, ob die zu ihm Bevoll- 
mächtigten zu Recht bevollmächtigt find, ist bereits oben in § 17 besprochen worden. 
Es hat mit dem Artikel 76 der Reichsverfassung nichts gemein. Ein solcher Be- 
schluß des Bundesrathes hat nur für die Frage der Bevollmächtigung, d. h. für 
das Recht der Ernennung des Bundesrathsmitgliedes und keine weiter gehende 
rechtliche Wirkung; vgl. hierzu Seydel, Comm., S. 408, und Laband, Reichs- 
staatsrecht, I, S. 207 und 237. Eine unmittelbare Entscheidung, eine Entscheidung 
ex professo, darüber, wer von mehreren Kronprätendenten zur Thronfolge legitimirt 
ist, steht dem Bundesrathe nicht zu. Im Lippe-Detmold'schen Streitfalle 
hatte Lippe-Detmold beim Bundesrath beantragt, es möge durch Reichsgesetz „das 
Reichsgericht als zuständiger Gerichtshof zur Erledigung der vorliegenden Thron- 
streitigkeiten eingesetzt werden“. Der Bundesrath beschloß jedoch, „den Reichskanzler 
zu ersuchen, ein Compromiß für die Bestellung eines Schiedsgerichtes unter den 
Kreitenden Theilen herbeizuführen“. Dies gelang auch; vgl. hierzu Seydel, Comm., 
. 409 
Artikel 77 der Reichsverfassung giebt dem Bundesrathe das Recht und die 
Kücht im Falle einer Justi zverweigerung gerichtliche Hülse zu bewirken. 
autet: 
„Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung ein- 
tritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden 
kann, so liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den 
bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Be- 
schwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und 
darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde 
Anlaß gegeben hat, zu bewirken.“ 
Arndt, Das Staatzrecht des Deutschen Neiches. 8
	        
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