Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

164 Biertes Buch. Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches. 
nicht ewig und abänderbar; fie bedeuten, daß sie nicht wie ein gewöhnliches Gesetz, 
sondern nur nach zuvoriger oder unter gleichzeitiger Abänderung der Verfassung, 
also in erschwerter Weise, ausgegehoben oder verändert werden können. Den 
stärkeren Schutz gewährt es, wenn vorgeschrieben ist, daß, bevor ein Gegenstand 
der einfachen Gesetzgebung unterstellt wird (im Wege der einfachen Gesetzgebung 
abgeändert werden kann), die Verfassung in aller Form abgeändert sein muß, und 
daß erst, wenn dies geschehen (wenn also erst die veränderte Verfassungsurkunde in 
Kraft besteht), die fragliche Vorschrift durch Gesetz erlassen werden kann. Die 
Reichsverfassung kennt keine Grundrechte, den vom Reiche gewährten Rechten der Ge- 
werbe-1 und Preßfreiheit?, der Paßfreiheit 8, der Nichtzurückwirkung von Straf- 
gesetzen“ (außer soweit fie milder find), dem Verbote des Eingriffs in die richterliche 
Gewalts u. s. w. hat sie keinen verfassungsmäßigen Schutz gewährt; diese Rechte 
können also durch jedes (gewöhnliche) Reichsgesetz ohne Weiteres geändert werden. 
Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches unterscheidet sich ihrem Inhalte nach 
von der Gesetzgebung im Einzelstaate dadurch, daß, während in diesem die Gesetz- 
gebung vorschreiben kann, was und auf welchem Gebiete sie will, die Reichsgesetz- 
gebung nur über bestimmte Gegenstände oder wenigstens nur unter Aenderung der 
Reichsverfassung sich über alle beliebigen Gegenstände erstrecken kann. Das 
Deutsche Reich hat nur Rechte, die ihm (wenigstens ursprünglich) übertragen find. 
Die Uebertragung erfolgte bezüglich des Rechtes der Gesetzgebung nicht unbeschränkt, 
sondern nur (Art. 2 der Reichsverfassung) „nach Maßgabe des Inhalts dieser 
Reichsverfassung“. Die Gesetzgebungsbefugniß des Reiches muß sich daher stützen 
auf den Inhalt der Reichsverfassung. Sie darf nur da eintreten, wo fie pofitiv 
zugelassen, nicht wo sie nicht verboten ist. Nach dem Inhalte der Reichsverfassung 
ist das Recht der Gesetzgebung theils ein ausschließliches, theils ein fakul- 
tatives. Ein ausschließliches ist es nur, wo dies die Reichsverfassung vorschreibt. 
Die Rechtsvermuthung spricht gegen die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung und, 
wo die Reichsgesetzgebung zugelassen ist, gegen ihre Ausschließlichkeit“. Ist aber 
ein Gegenstand durch die Reichsverfassung der Reichsgesetzgebung unterstellt, so 
kommt es auf den Wortlaut und Sinn an, wie weit die Uebertragung als erfolgt 
anzusehen sei; diese Uebertragung ist so wenig einschränkend wie ausdehnend zu 
interpretiren. 
Der Gesetzgebung des Reiches unterliegen nach Art. 4 der Reichsverfassung 
die nachstehenden Angelegenheiten: 
1) „die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimaths= und Niederlassungs- 
Verhältnisse, Staatsbürgerrecht, Paßwesen und Fremdenpolizei und über den 
Gewerbebetrieb, einschließlich des Verficherungswesens, soweit diese Gegenstände nicht 
schon durch den Artikel 3 dieser Verfassung erledigt sind', in Bayern jedoch mit 
Ausschluß der Heimaths= und Niederlassungs-Verhältnisse, desgleichen über die 
Kolonisation und die Auswanderung nach außerdeutschen Ländern.“ 
Es ist selbstverständlich, daß das Heimaths= und Niederlassungsrecht hier nicht 
in Bezug auf besondere Kommunal= oder die besonderen staatlichen Angelegenheiten, 
sondern nur als Vorbedingung oder Voraussetzung reichsrechtlicher eingeräumter 
Befugnisse, z. B. des Rechts des Aufenthalts, der Niederlassung, des Unterstützungs- 
wohnsitzes, des Gewerbebetriebes, des Erwerbs von Grundeigenthum und vor allem 
des Erwerbs des Indigenats, gemeint sein kann; denn die kommunalen und staat- 
  
1 Gewerbeordnung § 1. überwiesenen Gegenstände unterliegen grundsätz- 
2 Gesetz über die Presse § 1. lich. der ausschlie ahen Reichsgeeßgebung e 
2 Ges. vom 12. I#tober 1867, 8 1. 7 Durch Passus: „soweit diese Gegen- 
Strafgesetzbu stände ucht pen. durch Art. 3 erledigt find“, 
"t Lerichtspersas r e. ist der Reichsgesetzgebung die fernere Entwicke- 
t, Komm., 82, änel, lung auf diesem Gebiete nicht entzogen (v. Sa- 
Staatserche= S. d6 259 ff.. Laban dr S. 622. r*rnr im verfassungsberathenden Neichstae 
Demgegenüber eißt es bei Zorn, I, S. 421: S. 250). Der Passus kann übrigens als 
„Ist die Ausschließlichkeit der Reichzgesesgebung §s oeiem gelten; s. auch Seydel, Comm., 
das Princip; alle der Competenz des Reiches 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.