Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

6 25. Der Wes der Reichsgesetzgebnns. 177 
Anderes im Gesetze bestimmt ist, nach den Umständen ermessen werden müsse, welche Zeit 
etwa erforderlich ist, damit das Stück des Gesetzblattes von Deutschland nach den in 
Frage stehenden ausländischen Gebieten gelangen könne, und daß diese Zeit der 
für das Bundesgebiet geltenden vierzehntägigen Frist hinzugerechnet werden soll. 
Nach der anderen Ansicht, welche Seydelt und Bindings vertreten, kommt 
lediglich die Vorschrift in Art. 2 der Reichsverfassung in Anwendung. Die letztere 
Ansicht muß als die richtige erachtet werden; denn ein Gesetz gilt, wenn es gelten 
will; es trägt, wie früher nachgewiesen ist, seine verbindliche Kraft in sich selbst, 
und diese hängt nicht davon ab, ob sein Inhalt Jemandem bekannt geworden oder 
unbekannt geblieben ist. 
Eine letzte hier zu erörternde Frage betrifft, ob der Landtag in einem Bundes- 
staate befugt ist, über die Gültigkeit bezw. Verfassungsmäßigkeit eines Reichsgesetzes 
Berathungen zu halten und Beschlüsse zu fassen. Diese Frage ist zu bejahen. 
Nur bindet selbst der Beschluß eines Landtages, daß ein Reichsgesetz verfassungs- 
widrig sei, weder die Gerichte, noch die Behörden. Er hat Bedeutung nur für die 
Staatsregierung und nur bezüglich der Verantwortlichkeit, welche sie gegenüber dem 
Landtage hat. Im Jahre 1869 stellte der frühere preußische Justizminister Graf 
zur Lippe den Antrag, das preußische Herrenhaus wolle die Errichtung des 
Ober-Handelsgerichts ohne Zustimmung der preußischen Landesvertretung als mit 
der Preußischen Verfassungsurkunde in Widerspruch stehend erklären (Sten. Ber. 
des Herrenhauses 1869/70, Bd. 1, S. 58 ff.). Dieser Antrag war unbegründet, 
weil das die norddeutsche Bundesverfassung als für Preußen verbindlich annehmende, die 
Preußische Verfassung abändernde und als verfassungsänderndes zu Stande gekommene 
Gesetz dem Norddeutschen Bunde das Recht übertragen hat, das Handelsrecht und 
das gerichtliche Verfahren selbst, ohne nochmalige Befragung der preußischen Landes- 
vertretung wie ohne Rücksicht auf etwaige Vorschriften der Preußischen Verfassung, 
zu regeln, und hierin das Recht lag und als mitübertragen gelten mußte, auch 
einen obersten Gerichtshof zur Entscheiduug von Streitigkeiten durch Bundesgesetz 
einzuführen. Gesetzt nun, das Herrenhaus hätte die Ansicht des Grafen zur Lippe 
als richtig angesehen, so würde es die preußische Staatsregierung dahin verant- 
wortlich gemacht haben können, daß fie einem Gesetze im Bundesrath zugestimmt 
hätte, welches die Zuständigkeit der Bundeszuständigkeit überschritten und die 
Preußische Verfassung verletzt habe. An letzter Stelle hätten aber weder das 
Herrenhaus, noch die preußische Staatsregierung, sondern nur die Gerichte ent- 
scheiden köonnen, ob das Ober-Handelsgericht oder das damalige preußische Ober- 
Tribunal die letzte Instanz in Handelssachen war. 
  
* 25. Der Weg der Reichsgesetzgebung. 
In Betreff der Feststellung des Gesetzesinhalts stehen sich Bundesrath und 
Reichstag gleich (Art. 5, Abs. 1 der Reichsverfassung). Zu jedem Reichsgesetze ist 
die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen nothwendig. 
Ein noch so oft von einer dieser Körperschaften angenommener Beschluß kann ohne 
den Mehrheitsbeschluß der anderen niemals Gesetzeskraft erlangen. Daß eine dieser 
Körperschaften ein Vorrecht hat, insofern z. B. die andere einen Gesetzesvorschlag 
nur im Ganzen annehmen oder ablehnen kann (wie das preußische Herrenhaus den 
Entwurf des Haushalts-Etatsgesetzes) oder bestimmte Gesetzentwürfe nur bei einer 
bestimmten Körperschaft eingebracht werden dürfen (wie Finanzgesetzentwürfe nur 
beim preußischen Abgeordnetenhause), ist nicht vorgeschrieben und trifft daher nicht 
zu. Beide Körperschaften müssen in Bezug auf Amendirung und Annahme also 
sich gleichstehen. In Bezug auf die Iniatitive ist ein scheinbarer Unterschied 
vorhanden. Nach Art. 7, Abs. 2 der Reichsverfassung ist jedes Bundesglied befugt, 
im Bundesrath Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und das 
  
1 Comm., S. 47. : Handbuch des Strafrechts, I, S. 229. 
Araubt, Das Staatsrecht des Deutschen Neiche#. 12
	        
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