Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

320 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
aufgefaßt worden, — so wird es in England aufgefaßt, und so ist es aufzufassen, 
daß das englische House of Commons gesetzlich jede Steuer und jede Ausgabe ver- 
weigern darf. Selbstverständlich ist, daß seitdem, weil und solange in England 
das Unterhaus absolut regiert (d. h. die Staatsgeschäfte im Namen der Krone 
durch seinen Mehrheitsausschuß, das Ministerium, führen läßt), ihm vernünftiger 
Weise nicht mehr in den Sinn kommen kann, sich selbst (seinem Ausschusse) das 
Budget zu verweigern oder sich selbst (seinem Ausschusse) die Verfügung über die 
Staatssteuern vorzuenthalten oder den Staatsgläubigern die Auszahlung der Zinsen 
zu verzögern. 
Als Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung mag nachfolgende Stelle aus 
Thomas Erskine May, on constitutional bistory of England, dienen, aus 
welcher allerdings Gneist das Gegentheil von ihrem Inhalte deducirt hat: 
„Eines der ältesten und werthvollsten Rechte der Gemeinen ist das der Geld- 
bewilligung für den Staatsdienst und der Besteuerung. Seit frühester Zeit 
benutzten sie es, um von der Krone Zugeständnisse zu erlangen und die Freiheiten 
des Volkes zu fördern. Sie vertheidigten dasselbe mit Unerschrockenheit gegen die 
eigenmächtigsten Könige. Die Bill of Rights gab ihnen den endlichen Sieg über 
die Prärogative der Krone. Mit gleicher Festigkeit hielten sie an ihrem Rechte 
den Lords gegenüber fest. Jahrhunderte lang nahmen fie eine jede Einmischung 
des anderen Hauses in Geldbewilligungs-Angelegenheiten übel auf; unter der 
Regierung Karl's II. verfochten sie ihr Recht mit Erfolg, ausschließlich zu ent- 
scheiden, wo es sich um „den Gegenstand, das Maß und die Dauer“ einer dem 
Volke aufzuerlegenden Steuer handelt.“ 
„Unter derselben Regierung begannen sie die Art der Verwendung der Staats- 
gelder ihrer Prüfung zu unterziehen und führten den heilsamen Gebrauch ein, die 
Geldmittel nur zu bestimmter Verwendung zu bewilligen. Sie hatten aber den 
Werth einer geregelten Beauffichtigung der Einkünfte und Ausgaben der Krone 
noch nicht kennen gelernt; ihre Freigebigkeit setzte Karl I. und später Jakob H. 
in den Stand, sich Eingriffe in die Freiheiten des Volkes zu erlauben.“ 
„Die Erfahrungen, welche man unter diesen Regierungen machte, verhüteten. 
eine Wiederholung früherer Irrthümer. Seit der Revolution gründen die Geld- 
bewilligungen der Gemeinen sich auf jährliche Voranschläge, welche die Kron- 
Minister unter ihrer Verantwortlichkeit vorlegen, und werden bestimmt für den 
Staatshaushaltsbedarf des Jahres angewiesen. Die beständige Ueberwachung der 
Staatsausgaben trug mehr als irgend ein anderer Umstand dazu bei, den Schwerpunkt 
der Staatsgewalt in das Haus der Gemeinen zu verlegen; der Krone erwuchs daraus 
kein Nachtheil. So lange die Gemeinen weder über die Bedürfnisse des Staates 
Auskunft erhielten, noch ihnen für die angemessene Verwendung der bewilligten 
Geldmittel Sicherheit gewährt wurde, schlugen sie von dem Könige verlangte Gelder 
ganz oder theilweise ab'.“ 
„Die Gemeinen haben sich des Mittels, durch Hinausschiebung der Geld- 
bewilligung oder mit anderen Worten durch „Steuerverweigerung“ auf die anderen 
Zweige der Staatsgewalt Zwang zu üben, seit langer Zeit zu bedienen nicht 
versucht. Eine wirksamere Waffe, die Executive unter ihren Willen zu beugen, konnte 
in die Hände einer Volksvertretung nicht gelegt werden. Man hat sie mit Erfolg 
gebraucht, als die Prärogative des Königs Alles galt, und der Einfluß der Ge- 
meinen ohne Bedeutung war; heutigen Tages liegt diese Waffe rostend in der 
Rüstkammer constitutioneller Kriegsgeräthe. Im Jahre 1781 stellte Mr. Thomas 
Pitt den Antrag, die Bewilligung der Geldmittel auf einige Tage zu verschieben, 
damit Lord North zu einer bindenden Erklärung in Betreff des amerikanischen 
  
1 . von O. G. Oppenheim, Leipzig entnommenen Vorschuß zu decken. Im Jahre 
1862, Bd. I1, S. 390 ff. 1677 lehnten sie weitere Bewilligungen ab, bis 
2 Im Jahre 1625 schoben die Gemeinen es der König sie über die geschlossenen Bündnisse 
inaus, die von Karl I. zur Führung des unterrichtet haben werde. Im nächsten Jahre er- 
ieges mit Spanien verlangten Gelder zu be- folgie die Ablehnung eines Zuschusses. Jakob II. 
willigen. Sie schlugen 1675 Karl II. eine verlangte (1685) 1 400 000 Pfund Sterling, die 
Summe ab, um einen aus seinen Einkünften Gemeinen bewilligten nur die Halfte.
	        
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