Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

338 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
der wiederholte Appell, ohne Erfolg bleibt, sich dem Reichstage beugen müssen. 
Waldeck's Anschauungen waren die einer kleinen Minderheit; die in seinem 
Sinne gestellten Anträge (Duncker) wurden abgelehnt. 
Nirgends ist von der Reichsverfassung vorgeschrieben, daß der Reichstag den Etat 
festzustellen habe, daß die Regierungen ihm gehorchen müssen, und daß der Kaiser 
nach den Wünschen des Reichstages den Reichskanzler zu entlassen und zu ernennen 
habe. Sodann ist zu beachten, daß das Etatsgesetz nur von Bedeutung ist für das 
Verhältniß zwischen Regierung und Reichstag, nicht für das Verhältniß zwischen 
dem Reich und seinen Gläubigern und Schuldnern. 
Die Reichsregierung hat daher auch beim Nichtzustandekommen eines Etats- 
gesetzes unbedingt Dritten alle Ausgaben zu leisten, zu deren Leistung das Reich 
verpflichtet ist, mögen diese Ausgaben auf Gesetz beruhen oder nicht; sie muß ins- 
besondere auch bezahlen, was in Folge von formell gültig abgeschlossenen An- 
stellungs-, Arbeits= und Lieferungsverträgen geleistet werden muß. Was die Ein- 
nahmen des Reiches aus Forderungen irgend welcher Art, z. B. für Benutzung der 
Reichseisenbahnen, der Reichspost, anlangt, so müssen diese, bei eigener Vertretung 
der Beamten, erhoben werden. Die Zölle und Steuern haben die Einzelstaaten zu 
erheben und nach Abzug der Verwaltungskosten und dergleichen abzuführen, ohne 
Rücksicht auf ein Etatsgesetz. 
Es kann hierbei nur in Frage kommen, wie es mit den Matrikularbeiträgen 
steht, welche „bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrages durch den Reichskanzler 
ausgeschrieben werden“ (Art. 70), welche Frage erst später beantwortet werden soll. 
Aber wenn auch der Reichstag nicht verlangen kann, daß Kaiser und Bundes- 
rath ihm nachgeben, und wenn (abgesehen von den Matrikularbeiträgen) das 
Fehlen des Etatsgesetzes nur Bedeutung hat zwischen Reichsregierung und Reichstag, 
wenn auch ferner zugegeben werden muß, daß der Reichstag verpflichtet ist, alle 
gesetzlich nothwendigen Ausgaben zu bewilligen, und wenn endlich alle Steuern 
und Einnahmen unabhängig vom Willen des Reichstages sogar erhoben werden 
müssen, so kann andererseits nicht verkannt werden, daß nach der Vorschrift und dem 
Sinne der Reichsverfassung (Art. 69 in Verbindung mit Art. 71), nach der Ent- 
stehungsgeschichte und nach der constanten Praxis, formell alle Ausgaben, auch die 
gesetzlich nothwendigen, der Bewilligung des Reichstages bedürfen. Daraus ergiebt 
sich, daß, wenn einmal die Reichsverwaltung ohne Etatsgesetz geführt wird, die 
Regierungen der Reichsverfassung erst dann genügt haben, wenn sie hinterher die 
Genehmigung des Reichstages zu den gemachten Ausgaben, und zwar zu allen 
Ausgaben, erlangen. Der Reichskanzler ist dafür verfassungsmäßig verantwortlich, 
daß Ausgaben vom Reiche nur auf Grund vorgängiger oder nachträglicher Be- 
willigung von Seiten des Reichstages geleistet werden — ebenso wie das preußische 
Staatsministerium niemals bestritten hat, die Verantwortung in einem gleichen 
Falle zu tragen. 
Schließlich ist zu betonen, daß es sich hier um das deutsche Reichsrecht handelt, 
das nicht aus allgemeinen Abstractionen abzuleiten ist. In England, Frankreich 
und Belgien kann die Regierung nicht sagen: „II faut pourtant que je vive,“ 
noch, daß die Staatsmaschine nicht stillstehen dürfe; sie muß und soll abtreten, 
wenn ihr das Budgetgesetz trotz versuchten Appells an das souveräne Volk nicht 
bewilligt wird, und fie haftet civil- und z. B. in Frankreich strafrechtlich dafür, 
wenn sie ohne Budgetgesetz und gegen den Willen der Kammer die Finanzgeschäfte führt. 
§*# 37. Die Reichssteuern. 
Salzsteuer!. 
Bei Errichtung des Norddeutschen Bundes war in fast allen deutschen Staaten, 
namentlich allen größeren, der Großhandel mit Salz monopolisirt, dergestalt, daß 
— — 
1 Literatur: Arndt, in der Zeitschrift für Bergrecht, Bd. XXIV, S. 34 ff.
	        
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