Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

* 50. Stärke und Zusammensetzung des stehenden Heeres. 507 
Ist das Reich zur Tragung der Demolirungskosten verpflichtet und hat diese 
der Grundbesitzer getragen, so hat er Anspruch auf Baarzahlung. 
Bei allen diesen Bestimmungen ist zu beachten, daß beim Kriegszustande 
alle Vorschriften über vorherige Anzeige, Aufnahme von Verhandlungen, Benach- 
richtigungen und dergl. nicht befolgt zu werden brauchen. Ist der Kampf gegen- 
wärtig oder unmittelbar drohend, so gelten nur die militärischen Rücksichten. Die 
Militärbehörde kann und muß dann unverzüglich und selbst Alles thun, was vom 
militärischen Standpunkte aus geboten ist. Diejenigen, welche durch militärische 
Maßnahmen in ihrem Eigenthum oder sonst geschädigt find, haben einen im Rechts- 
wege hinterher verfolgbaren Anspruch auf Entschädigung, sofern ein solcher nicht 
aus besonderen Gründen ausgeschlossen ist, d. h. ihnen ein solcher auch bei An- 
wendung des Gesetzes vom 21. Dezember 1871 nicht zustehen würde. 
*50. Stärke und Zusammensetzung des stehenden Heeres. 
Die Vorschriften der Reichsverfassung über Stärke und Zusammensetzung des 
stehenden Heeres stehen — anscheinend wenigstens — mit einander in Widerspruch 
und erfahren eine verschiedene Auslegung. „Jeder wehrfähige Deutsche gehört fieben 
Jahre laung dem stehenden Heere an“ (Art. 59). „Die Friedens- 
Präsenzstärke des Deutschen Heeres. wird für die Zeit nach dem 31. Dezember 
1871 . . ... im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt“ (Art. 60). „Der Kaiser 
bestimmt den Präsenzstandd des Reichsheeres“ (Art. 63, Abs. 4). „Nach dem 
31. Dezember 1871 müssen diese Beiträge (225 Thaler auf die Kopfzahl der 
Friedensstärke) von den einzelnen Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt 
werden. Zur Berechnung derselben wird die im Artikel 60 interimistisch festgestellte 
Friedens-Präsenzstärke (d. h. auf 1 % der Bevölkerung von 1867) so lange fest- 
gehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abgeändert ist“ (Art. 62, Abs. 2). „Die 
Verausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer und dessen Einrichtungen 
wird durch das Etatsgesetz festgestellt“ (Art. 62, Abs. 3). „Bei der Feststellung 
des Militair-Ausgabe-Etats wird die auf Grundlage dieser Verfassung gesetzlich 
feststehende Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt“ (Art. 62, Abf. 4 5 
Also alle wehrfähigen Deutschen sollen sieben Jahre dem stehenden Heere an- 
gehören, sagt Art. 59. Sie gehören indeß, so sagt Art. 60, dem stehenden Heere 
nicht ohne Weiteres an, sondern nur, soweit sie die durch Reichsgesetz festgestellte 
Friedenspräsenzstärke ausmachen. Die Friedenspräsenzstärke, so bestimmt Art. 60, 
wird durch Reichsgesetz festgestellt. Art. 63, Abs. 4 besagt dagegen, daß der Kaiser 
den Präsenzstand bestimmt. 
Bei diesen und noch anderen Widersprüchen im Wortlaute ist es nothwendig, 
auf die Entstehung zurückzugehen. Dabei hat man sich zu vergegenwärtigen, daß 
die einzelnen Bestimmungen der Reichsverfassung, namentlich die des Art. 62, auf 
Compromissen beruhen, und sodann, daß die bezüglichen Reichstagsbeschlüsse von 
den sie Votirenden von Anfang an und offenbar verschieden gemeint find. Um die 
Reichstagsbeschlüsse und die Reichstagsverhandlungen zu verstehen, ist es nöthig, auf 
den Verfassungsconflict in Preußen zurückzukommen, unter dessen lebendiger Er- 
innerung die Verhandlungen geführt sind. 
Das preußische Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 3. Sep- 
tember 1814 (G.-S. 1814, S. 79) bestimmte die allgemeine Wehrpflicht, fügte 
hinzu (§ 3), daß die Stärke des stehenden Heeres und der Landwehr nach den 
jedesmaligen Staatsverhältnissen bestimmt wird, daß die stehende Armee aus einem 
Theil der jungen Mannschaft vom 20. bis 25. Jahre besteht und daß sich die 
Mannschaft des stehenden Heeres die ersten drei Jahre durchgängig bei ihren 
Fahnen befindet, die beiden letzten Jahre in ihre Heimath entlassen werden soll. 
In späterer Zeit wurde thatsächlich die Dienstzeit der Infanterie auf zwei 
Jahre verkürzt. Die Heeresreorganisation von 1860 führte wieder die gesetzlich 
nie beseitigte dreijährige Dienstzeit ein und entnahm aus den Landwehrjahrgängen 
(ersten Aufgebots bis zum zurückgelegten 32. und zweiten Aufgebots bis zum
	        
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