Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 11. Reichsangehörigkeit. 49 
Staat seine Angehörigen in kein neues Unterthanenverhältniß, wenn auch neue 
Rechte und Pflichten den Staatsgenossen erwachsen können. In Folge dessen wird 
sich die Sache so gestalten, daß für die Staatsangehörigen aller übrigen ver- 
bündeten Staaten einerseits ein bestimmtes Maß gleichförmiger Rechte und Pflichten 
besteht, entsprechend den gemeinsam ausgeübten Hoheitsrechten, und andererseits 
eine Anzahl besonderer Rechte und Pflichten. Aber dies sind und bleiben lediglich 
die Wirkungen einer Staatsangehörigkeit; sie zeigen nicht zwei verschiedene, ge- 
trennte Staatsangehörigkeiten an.“ 
Aehnlich dieser ist die Ansicht Laband's (Staatsrecht, 1, S. 126): „Die 
Herrschaftsrechte des Reiches über die Staaten involviren daher zugleich Herrschafts- 
rechte über die Angehörigen dieser Staaten, gleichviel in welcher Form sie geltend 
gemacht werden; die Pflichten, welche das Reich den Einzelstaaten abgenommen 
hat, um fie selbst an ihrer Stelle auszuüben, erfüllt es für die Angehörigen der 
Staaten. Die Bürger des Einzelstaates haben daher gegen die Reichsgewalt 
Unterthanenpflichten und staatsbürgerliche Rechte. Weil der Einzelne ein An- 
gehöriger des Staates Preußen oder Sachsen ist, und weil der Staat Preußen und 
der Staat Sachsen zum Reiche gehören und der Reichsgewalt unterworfen find, 
darum ist der Preuße und der Sachse ein Angehöriger des Reichs und der Reichs- 
gewalt unterthan. — — — — Die Angehörigen eines Bundesstaates 
sind nicht unabhängig von demselben, sondern durch diesen 
Bürger des Gesammtstaates. Der Einzelne hat nicht zwei Staatsgewalten 
über sich, welche einander nebengeordnet sind, und von denen eine jede einen 
Theil der obrigkeitlichen Gewalt in sich schließt, sondern er hat zwei Staatsgewalten 
über sich, welche einander übergeordnet sind. — — — Die Reichsangehörig- 
keit ist keine selbstständige Eigenschaft, sondern sie drückt mit einem Worte zwei 
verbundene Eigenschaften aus, nämlich daß Jemand dem Staate angehört, welcher 
dem Reiche angehört. Die Reichsunterthänigkeit ist keine unmittelbare, sondern eine 
mittelbare; die Einzelstaatsgewalt bildet das Medium.“ 
Weder die v. Seydel'sche, noch die Labands'sche Theorie genügen, um das 
thatsächliche Recht zu erklären. Es ist zunächst nicht richtig, daß, wie v. Seydel 
behauptet, der Angehörige eines Einzelstaates nur seiner eigenen Staatsgewalt ge- 
horcht, indem er dem Reiche gehorcht. Allerdings die Gültigkeit der Bundes- 
(Reichs-) Verfassung beruhte ursprünglich darauf, daß ihre Befolgung in jedem 
Bundesstaate dessen Unterthanen durch Landesgesetz anbefohlen war. Was aber 
in Folge und auf Grund der Verfassung später befohlen worden ist und nunmehr 
befohlen wird, ist nicht mehr ein Befehl des Einzelstaates, so wenig wie die Gesetze 
im constitutionellen Staate noch Befehle des absoluten Monarchen sind, der einst 
die Verfassung verliehen hat. Es ist auch nicht zuzugeben, daß Jemand seiner 
eigenen Staatsgewalt gehorcht oder zu gehorchen glaubt, wenn er sich in die 
Matrikel eines Reichsconsuls eintragen läßt, auf Aufforderung des deutschen Kaisers 
aus fernen Landen zurückkehrt, wenn er einen Reichstagsabgeordneten wählt, Reichs- 
steuern zahlt, seiner Militärpflicht Gielleicht gar außerhalb seines Heimathsstaates) 
genügt u. s. w. Für die Labands'sche Theorie scheint zu sprechen, daß nach dem 
Gesetze über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit 
die Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 als das primäre Verhältniß hin- 
gestellt wurde und die Reichsangehörigkeit nur als deren Folge erschien. Das 
Deutsche Reich hätte dies aber auch umgekehrt vorschreiben können, etwa wie die 
Nordamerikanische Union, nämlich, daß das Bundesindigenat das primäre Ver- 
hältniß ist, und die Staatsangehörigkeit durch die Wohnsitznahme eines Bundes- 
angehörigen in einem Einzelstaate erworben wird. Thatsächlich giebt es nun auch 
im Deutschen Reiche ein Reichsindigenat ohne Landesindigenat. Zunächst sind die 
Elsaß-Lothringer Reichsangehörige, obwohl es eine Elsaß-Lothringische Staats- 
angehörigkeit der herrschenden Ansicht nach nicht giebt (Laband, Staatsrecht, 1, 
§ 67, Schulze, Deutsches Staatsrecht, II, §3783, Zorn, Staatsrecht, I, S. 44, 
Stoerk in v. Holtzendorff's Encyklopädie u. A.). Sodann und unstreitig kann 
Reichsangehörigkeit ohne Staatsangehörigkeit entstehen in den deutschen Schutgebieten 
Arundt, Tas Staatsrecht des Deutschen Reiches.
	        
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