Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

6 52. Besondere Arten des Militärdienstes, besonders der Officiersdienst. 545 
Das Charakteristische des militärischen Straf= und Disciplinarstrafrechts ist die 
Sicherung der Befolgung militärischer Befehle. Nur wenn dem Ausführer eines 
Dienstbefehls bekannt ist, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betrifft, 
welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckt, kann 
er auf seine Verantwortung und Gefahr den Gehorsam verweigern, widrigenfalls 
er nach § 47 des Militärstrafgesetzbuchs als Theilnehmer an der Handlung bestraft 
wird. Von den militärischen Pflichten entbinden weder Gewissen noch Religions-= 
vorschriften (§ 48); Nothstand ist kein Strafausschließungsgrund, vielmehr ist Ver- 
letzung einer Dienstpflicht aus Furcht vor persönlicher Gefahr ebenso zu bestrafen 
wie die Verletzung aus Vorsatz (§ 49, Abf. 1), und ist selbstverschuldete Trunken- 
heit kein Strafmilderungsgrund (§ 49, Abs. 2). Strafbar ist nicht bloß die 
Fahnenflucht, sondern schon die unerlaubte Entfernung (88 64 ff.). Feigheit 
während des Gefechts wird mit dem Tode bestraft (§ 84). Strafbar ist die Ver- 
letzung der dem Vorgesetzten schuldigen Achtung (§ 89). Der bloße Ungehorsam 
gegen einen Befehl in Dienstsachen durch Nichtbeachtung oder durch eigenmächtige 
Abänderung oder Ueberschreitung wird mit Arrest und, wenn durch Ungehorsam 
ein erheblicher Nachtheil verursacht oder auch nur die Gefahr eines solchen Nach- 
theils herbeigeführt wird, mit Freiheitsstrase bis zu drei Jahren oder gar mit 
lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft. Besonders schwere Strafen find auf die 
ausdrückliche Verweigerung des Gehorsams oder auf thätliche Angriffe gegen Vor- 
gesetzte vorgeschrieben (§§ 94 ff.). Nichtmilitärs, die Personen des Soldatenstandes 
zum Ungehorsam u. s. w. auffordern oder anreizen, find strafbar nach § 112 des 
Reichsstrafgesetzbuchs. Militärischer Aufruhr vor dem Feinde wird mit dem Tode 
bestraft (§ 108). Auf der anderen Seite ist Mißbrauch der Dienstgewalt mit 
Strafen bedroht (§§ 114 bis 126). Nicht bloß die wider besseres Wissen erfolgende 
Anzeige (Beschwerde) ist strafbar, sondern es wird auch mit Arrest bestraft (§ 152, 
Abs. 2) 1, wer wiederholt und leichtfertig auf unwahre Behauptungen gestützte Be- 
schwerden oder wer eine Beschwerde unter Abweichung von dem vorgeschriebenen 
Dienstwege einbringt. Vorgeschrieben ist durch Cabinetsordre vom 14. Juni 1894 
(Armeeverordnungsbl. 1894, S. 189 ff.) für das stehende Heer und durch Kaiserliche 
Verordnung vom 23. Oktober 1894 (Marineverordnungsbl. 1894, S. 247) für die 
Marine und durch Königliche Verordnung vom 30. März 1895 (Armeeverordnungsbl. 
1895, S. 95) für Officiere, Sanitätsofficiere und Militärbeamte, daß Beschwerden 
frühestens am nächsten Morgen nach dem Vorfall und bei dem nächsten Vor- 
gesetzten anzubringen sfind. Gehorsam kann im Falle der Noth in jeder Weise 
erzwungen werden. Es bestimmt nämlich § 124 des Militärstrafgesetzbuchs: „Die- 
jenigen Handlungen, welche der Vorgesetzte begeht, um einen thätlichen Angriff des 
Untergebenen abzuwehren, oder um seinen Befehlen im Fall der äußersten Noth 
und dringendsten Gefahr Gehorsam zu verschaffen, find nicht als Mißbrauch der 
Dienstgewalt anzusehen. — Dies gilt namentlich auch für den Fall, wenn ein Offizier 
in Ermangelung anderer Mittel, den durchaus nothwendigen Gehorsam zu erhalten, 
sich in der Lage befunden hat, gegen den thätlich sich ihm widersetzenden Unter- 
gebenen von der Waffe Gebrauch zu machen.“ 
  
  
§52. Besondere Arten des Militärdienstes, besonders der Officiersdienst. 
Die sog. freiwillige Uebernahme des Militärdienstes. 
Das Wesen des Militärdienstes, d. i. der unbedingte Gehorsam bis in den 
Tod nach den Befehlen des Vorgesetzten als des Vertreters des obersten Kriegsherrn, 
schließt nicht aus, daß Jemand sich mehr oder minder freiwillig in diesen Dienst 
begiebt. Hat er dies gethan, so kann er durch Widerruf oder den Wiederaustritt 
sich nicht einseitig von den Folgen befreien, die ihm der Militärdienst auferlegt. 
  
  
  
—2 
  
1 Siehe auch Disziplinarstrafordnung § 27. 
Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Neiches. 35
	        
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