Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

634 Neuntes Buch. Die Reichsbeamten und die Reichsbehörden. 
gelten und Widerstand gegen fsie Widerstand gegen die Staatsgewalt ist und unter 
§ 113 des Strafgesetzbuchs fällt. Solche Personen brauchen aber nach keiner 
anderen Hinsicht Beamte zu sein; sie brauchen keinen Anspruch auf lebenslängliche 
Anstellung, Pension, Wittwen= und Waisenversorgung, Steuerprivilegien, auf die 
Bevorzugung des Disciplinarverfahrens zu haben, und in der That steht den ent- 
sprechenden Beamten an Privatbahnen kein solcher Anspruch und an Staatsbahnen 
nicht immer zu. Schöffen und Geschworene, Handelsrichter, Notare und Rechts- 
anwälte sind Beamte in Bezug auf einzelne Vorschriften des Strafgesetzbuchs, aber 
nicht im Sinne der eigentlichen Beamtengesetze, Pensions-, Hinterbliebenen- 
versorgung u. s. w. Officiere sind Beamte im Sinne des Strafgesetzbuchs und des 
Indigenatsgesetzes; sonst sind sie in der Regel keine Beamten!. 
Nicht nothwendig zum Begriffe des Beamten find die Lebenslänglichkeit und 
Unkündbarkeit der Anstellung, die Vereidigung als Beamter, die Besoldung, die 
obrigkeitliche Natur der Dienstgeschäfte und die Dauer der Geschäfte ?. Auch die 
Bahnwärter, Weichensteller, Portiers, Fahrkartendrucker, Bremser, Heizer der Eisenbahn- 
verwaltung sind in Preußen Staatsbeamte seit dem Allerhöchsten Erlasse, betreffend 
die Organisation der Eisenbahn, vom 25. November 1879. Ebenso find Postillone, Packer, 
Schaffner der Postverwaltung Reichsbeamte (Allgemeine Dienstanweisung für Post und 
Telegraphie, Abschn. X, Abth. 2). Als das Kennzeichnende des Beamtenverhältnisses 
wird ein besonderes Gewaltverhältniß des Anstellenden zum Angestellten 
bezeichnet. So definirt Rehm, §54: „Der Staatsdienst ist ein staatsrechtliches Gewalt- 
verhältniß mit einem staatsrechtlich-privatrechtlich gemischten Forderungsverhältniß als 
Annexum“ 3. In der Entscheidung des Reichsgerichts vom 24. März 1882, Entsch. 
in Civils., Bd. VI, S. 105 f., heißt es, daß „der Staatsdienst ein Gewaltverhältniß 
des Staates dem Beamten gegenüber voraussetzt““. Dies ist richtig, aber nicht erschöpfend. 
Nicht um dem Staate eine höhere oder eine besondere Gewalt zu geben, find in 
den letzten Jahren Tausende zu Beamten gemacht worden (Steiger, Aufseher, 
Schaffner, Postillone, Drucker, Couriere, Weichensteller, Rotten= und Vorarbeiter), 
sondern umgekehrt, um die Macht des Staates diesen Personen gegenüber zu be- 
schränken und um dem Staate besondere Pflichten aufzuerlegen. Es giebt zwar 
Beamte, die auf Kündigung stehen und keinen Anspruch auf Disciplinarverfahren, 
Pension, Wittwenversorgunug und dergl. haben. Indessen die Regel' und das End- 
ziel der Verleihung der Beamtenqualität ist, daß die Beamten nur auf Grund 
Disciplinarerkenntnisses entfernt werden können, daß sie Anspruch auf Penfion, 
Wittwen= und Waisenversorgung haben u. f. w. Der Staat hat dann die „be- 
sondere Gewalt“, wenn er den Angestellten nach Willkür, ohne Disciplinarverfahren, 
entlassen kann. Diese Gewalt wird gebrochen, wenn er Jemanden nur auf Grund 
eines weitläufigen Disciplinarverfahrens entlassen kann. Auch vor der Verleihung 
des Rechts, nur im Disciplinarwege entfernt zu werden, waren die Staatsangestellten 
zur Verschwiegenheit und zu besonderer Gehorsams-, Treu= und Dienstpflicht ver- 
bunden. Zum Mindesten pflegt man diese Pflichten in den Anstellungsverträgen 
mit den betreffenden Personen zu stipuliren. Daß Jemand Beamter werden soll, 
bedeutet nicht nur, daß er zu einer besonderen Treue und nicht blos zu bestimmt 
abgegrenzten Diensten verpflichtet sein soll, sondern auch, daß auf ihn besondere 
Rücksicht genommen werden soll und daß er, sobald er — was die Regel ist — 
endglltig angestellt ist, nicht mehr beliebig aus Brod und Lohn gesetzt werden darf, 
sondern das Recht erhält, was Nichtbeamten fehlt, nur auf Grund Disciplinar- 
erkenntnisses von seiner Stelle entfernt zu werden. 
Daher hieß es und heißt es noch oft in den Anstellungsverträgen etwa, daß der 
Angestellte (dem Sinne nach) alle Pflichten des Beamten haben, die Rechte des 
  
1 S. oben S. 531 f.; vgl. ferner Erk. des 
Reichsger, vom 22. März 1892 und 16. Juni 
1896 in den Entsc. in Straff., Bd. XXIII, 
S. 17, und Bd. XXIX, S. 15, bes. S. 19. 
2 Arndt, in der Deutschen Juristenzeitung, 
1899, S. 261. 
5 Siehe auch Pieper, Reichsbeamtengesetz, 
'4 Vgl. auch Erkenntn. des Oberverwaltungs- 
  
grrichts vom 3. Januar 1891, Entsch. Bd. XX, 
5 §2 des Reichsbeamtengesetzes, unten S. 641. 
Selbst wenn die Beamten nicht lebenslänglich, 
sondern nur auf Kündigung anzstelt find, be- 
steht war nicht die zwingende Vorschrift, wohl 
aber die Uebung, daß fie nicht willkürlich zu 
entlassen find.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.